Antonia Wille, Sie leiden unter einer Angststörung, die Sie Katja genannt haben. Wie würden Sie Katja beschreiben?
Ich bezeichne sie gerne als hysterische Bekannte, die immer mal wieder ungebeten bei mir auftaucht. Sie ist eine Vertraute, noch keine Freundin, obwohl sie mir natürlich nichts Böses wünscht. Sie will mich warnen, hat aber nicht immer recht.
Sie sind Katja erstmals begegnet, als Sie elf Jahre alt waren.
Genau. Ich war mit meiner Familie unterwegs, als wir etwas gegessen haben, wurde mir plötzlich inmitten all der Menschen so übel, dass ich den Raum verlassen musste. Ich dachte, mein Kreislauf spielt verrückt. Aber dann hat es sich wiederholt: Nachts auf einer Klassenfahrt. Im Tunnel. Wenn wir im Stau standen. Also immer dann, wenn ich nicht zu Hause war oder nicht weg konnte. Da meine Mutter Erfahrungen mit Panikattacken hatte, war uns irgendwann klar, dass es bei mir keine normale Übelkeit ist, sondern ein Zustand von Angst. Relativ schnell hat sich bei mir dann auch eine Angst vor der Angst eingestellt. Also eine Angst vor der nächsten Angstattacke. In der elften Klasse bin ich erstmals zu einer Therapeutin gegangen.
Die Therapeutin hat eine Agoraphobie diagnostiziert. Was ist genau damit gemeint?
Agoraphobie ist die Angst vor Plätzen und Menschenmassen. Man hat Angst das Haus zu verlassen und vor allem sich in geschlossene Räume zu begeben. Es ist die Angst vor dem Kontrollverlust in der Öffentlichkeit, bei mir äußert sich das mit starker Übelkeit. Ich frage mich in solchen Situationen, was passiert, wenn mir schlecht wird und ich nicht schnell genug nach Hause komme.
Haben Sie sich als Teenagern Ihren Freundinnen und Freunden anvertraut?
Ich bin in einer bayerischen Kleinstadt aufgewachsen, und Anfang der 2000er war das Thema mentale Gesundheit noch nicht so etabliert wie heute. Insofern war ich eher zurückhaltend. Ich habe es einigen Freundinnen erzählt und dann alle Reaktionen erlebt – von: „Wie kann ich Dir helfen“ bis hin zu: „Die ist doch verrückt“. Aber im Großen und Ganzen hab ich es mit mir alleine ausgemacht.
Wie sah das genau aus?
Man sagt, der Weg aus der Angst führt durch die Angst. Ich habe also versucht, die Dinge, die mir Angst machen, trotzdem zu tun. Sie auszuhalten. Aber das ist natürlich sehr anstrengend. Wenn man auf Klassenfahrt ist und vorher schon total Angst hat, dass einem nachts wieder schlecht ist und man es niemandem mitteilt aus dem Gefühl heraus, es versteht niemand – dann ist das schon belastend.
Jetzt haben Sie ein Buch geschrieben über Angst: Angstphase. Wie schwer war der Schritt in die Öffentlichkeit?
Irgendwann habe ich mit meinen FreundInnen über die Angststörung gesprochen und auch meine Arbeitgeber eingeweiht. Zum Beispiel, wenn ich für ein Meeting nach Berlin musste, oder es andere Situationen gab, in denen ich an meine Grenzen gekommen bin. Das war hilfreich. Als Journalistin mit einem eigenen Onlinemagazin habe ich außerdem immer überlegt, wie ich das Thema Angst aufbereiten kann, weil es ja doch sehr viele Menschen betrifft. Bei dem Buch hatte ich anfangs Sorge, dass ich nur noch „die mit der Angst bin“. Denn die Angst gehört zwar zu mir, macht mich aber nicht komplett aus. Aber das ist zum Glück nicht passiert.
Wie kam es dazu, dass aus der Angststörung Katja wurde?
Das war die Idee einer Therapeutin, die ich als Teenager aufgesucht habe. Und ein guter Trick. Denn der Name hilft, die Angst von sich zu distanzieren. Wenn man in den Angstgefühlen drin steckt, dann denkt man, es sei das Schlimmste, was einem passieren kann. Es übermannt einen richtig. Seit meine Angst einen Namen hat, kann ich in den Situationen besser mit ihr in ein inneres Gespräch kommen. Ich kann sagen: „Alles okay, Katja, ich brauch Dich jetzt nicht, aber ich hab Dich gehört. Ich pass‘ auf“. Dadurch spalte ich die Angst ein bisschen von mir ab.
Wie oft taucht Katja heute noch auf?
Ich habe natürlich gelernt, mit der Angststörung umzugehen. Wenn ich im Stau stehe, macht es mir nicht mehr so viel aus. Aber es hängt auch von der Tagesform ab. Nach einer stressigen Zeit mit wenig Schlaf, klopft die Angst häufiger an. Genauso gibt es Phasen, in denen ich Katja ganz vergesse.
Vor ungefähr drei Jahren hat sich die Angststörung zur Panik gesteigert. Wie fühlt sich eine Panikattacke an?
Bei mir kam die Panik 2017 beim Joggen im Park. Mein Herz raste, mein Puls ging hoch, mir brach der Schweiß aus. Durch meine Erfahrung mit der Angst konnte ich das letztlich als Panikattacke einordnen, und ich wollte sie zuerst ignorieren und einfach weiter joggen. Aber dann ging gar nichts mehr. Ich hatte richtig Todesangst und Panik, nie wieder nach Hause zu kommen. Was mir dann doch gelungen ist. Später wurde mir dann klar, dass sich die Angst schon Monate vorher zu Wort gemeldet hatte. Es war ein beruflich und privat sehr stressiges Jahr, in dem ich oft über meine Grenzen gegangen bin. Irgendwann, so kommt es mir rückblickend vor, ist das Stress-Fass übergelaufen und hat sich als Panik geäußert.
Weil Katja mit ihrer leiseren Art auf sich aufmerksam zu machen nicht mehr durchgekommen war?
Ja, genau. Ein knappes halbes Jahr hatte ich später nochmal eine Panikattacke. Seitdem zum Glück nicht mehr. Ich glaube, jemand, der das erste Mal eine Panikattacke erlebt und nicht weiß, was es ist, rennt danach tatsächlich von einem Arzt zum nächsten, um nach der körperlichen Ursache zu suchen.
Was raten Sie jemandem, der eine Angststörung oder Panikattacken bei sich vermutet?
Auf jeden Fall ist es immer eine gute Idee, sich Hilfe zu holen. Wenn man ein Bein gebrochen hat, geht man ja auch zum Arzt oder zur Ärztin. Und je eher man es in Angriff nimmt, desto besser. Man muss ja in Deutschland doch teilweise sehr lange auf einen Therapieplatz warten.
Gibt es auch gute Seiten an der Angststörung – an Katja?
Ich glaube, ich bin aufmerksamer für mich und mein Leben geworden. Ich versuche sehr achtsam zu leben, sehr bewusst – was mal gut, mal weniger gut klappt. Aber insgesamt habe ich durch die Beschäftigung mit der Angst viel über mich und andere Menschen gelernt. Katja ist ja auch nicht nicht nur schlecht. Sie hat mir vielleicht die ein oder andere Erfahrung genommen, mir dafür aber auch andere geschenkt.
Danke für das Gespräch.
Antonia Wille
Jahrgang 1986, ist freie Journalistin und zählt zu den Pionieren der Modebloggerszene Deutschlands. 2013 gründete sie gemeinsam mit Amelie Kahl und Milena Heißerer das Blogazine amazedmag.de, das zu den einflussreichsten Blog-Magazin-Formaten für junge Frauen in Deutschland zählt. Zudem arbeitet sie als Dozentin für Social Media und berät Unternehmen im Bereich Branding, Influencer Marketing sowie Social Media. Ihr Buch „Angstphase“ ist im Piper-Verlag erschienen.
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