Antibiotika-Alternativen – warum?
Blasenentzündungen gehören zu den häufigsten bakteriellen Infektionen. Und: zu den häufigsten Diagnosen, die zu einer Verschreibung von Antibiotika führen. 6,3 Millionen Fälle sind es pro Jahr. Betroffen sind vor allem Frauen – viele davon immer wieder.
Tatsache ist: Bei unkomplizierten Blasenentzündungen können Antibiotika die Beschwerden innerhalb von ein bis drei Tagen zuverlässig lindern. Sie beseitigen die Entzündung, indem sie die Bakterien abtöten. Trotzdem ist die Therapie ein Balance- akt mit ungewissem Ausgang:
Je kürzer, desto schonender für den Körper, aber desto größer die
Gefahr, dass die Blasenentzündung wiederkehrt. Je länger, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Infektion zwar beseitigt ist, aber die typischen Nebenwirkungen durchschlagen: Magen-Darm-Probleme oder Pilzinfektionen.
Antibiotika: Angriff auf die Darmflora – und damit auf das Immunsystem
Ärzte und Apotheker beobachten, dass Patienten Antibiotika oft nicht korrekt oder lange genug einnehmen. Umgekehrt sagen Kritiker: Ärzte verschreiben Antibiotika oft zu voreilig. Als kritischste akute Nebenwirkung von Antibiotika gilt, dass sie die Darmflora angreifen. Dort aber sitzt ein Großteil unseres Immunsystems.
Kommen Keime im Körper regelmäßig mit Antibiotika in Kontakt oder überleben die Therapie, lernen sie, sich gegen diesen Medikamententyp zu wappnen: Sie werden „resistent“. „Mittlerweile haben wir nur noch wenige Antibiotika auf dem Markt, die zuverlässig wirken“, sagt Sabine Müller, Apothekerin aus Berlin. „Die Leute haben diese Medikamente lange für jedes Wehwehchen genommen. Wird heute jemand krank, schlagen Antibiotika oft nicht mehr an.“
Rosmarin, Tausendgüldenkraut: natürliche Antibiotika-Alternativen
Wegen der Resistenzproblematik rücken antibakteriell wirkende Pflanzenpräparate (Phytopharmaka) immer stärker in den Mittelpunkt. Einer Studie zufolge würde jede dritte Frau mit einer unkomplizierten Blasenentzündung gerne auf Antibiotika verzichten. Haben sanfte Maßnahmen wie viel Trinken oder Blasentees nicht geholfen, ist die Stunde der Phytopharmaka gekommen – als Alternative zu konventionellen Antibiotika. Apothekerin Müller, seit 22 Jahren Chefin einer Kiezapotheke, kennt viele Kunden mit Namen und auch deren Krankheitsgeschichte: „Wir erzielen fast die gleichen Erfolge wie beim Antibiotikum. Zu 80 Prozent hilft das.“ Müller empfiehlt als Antibiotika-Alternativen ein Kombipräparat aus drei hochdosierten Pflanzenextrakten: Hauhechelwurzel, Orthosiphonblätter und Goldrutenkraut. Eine weitere Form sind Tabletten mit Bärentraubenblätterextrakt.
Die Erfahrungswerte der Apothekerin werden durch wissenschaftliche Untersuchungen gestützt. Für ein Kombipräparat aus Rosmarin, Tausendgüldenkraut und Liebstöckel stellte eine 2019 veröffentlichte Studie fest: Es besitze „einen mit dem Antibiotikum vergleichbaren Therapieerfolg und ein vergleichbarer Rückgang der Symptomatik und stellt somit eine evidenzbasierte Alternative dar“.
Antibiotika sind „Killer“ – Pflanzenarzneien eher „trickreich“
Charakteristisch für viele pflanzliche Präparate: Sie bestehen aus einer Kombination von Wirkstoffen, die für sich alleine schmerzlindernd, krampflösend, bakterienausspülend oder entzündungshemmend sind. Und die in ihrer Kombination Bakterien so vielschichtig angreifen, dass die Gefahr einer Resistenzbildung deutlich geringer ist. Gleichzeitig bleibt die Darmflora unbehelligt. „Das Antibiotikum ist ein Killer“, sagt Sabine Müller. „Antimikrobielle pflanzliche Präparate dagegen machen ihnen das Leben schwer und damit die Vermehrung.“
Für das Kombipräparat mit Rosmarin wurde nachgewiesen, dass es nicht nur als Akuttherapie infrage kommt. Bei Patientinnen, die das Medikament nach einer abgeklungenen Blasenentzündung vorbeugend einnahmen, lag die Rückfallquote um 73 Prozent niedriger als in der Gruppe ohne Nachsorge.
Eine zweite Klasse Phytopharmaka, die bei Blasenentzündung helfen kann, gilt als „pflanzliches Antibiotikum“. Ihr Wirkstoff: Senföle aus den scharfen Gemüsepflanzen Meerrettichwurzel und Kapuzinerkresse. Sie hemmen trickreich das Kommunikationssystem von Bakte- rien und damit die Bildung von Biofilmen, mit denen sich Keime vor Antibiotika schützen. Diese Filme werden für wiederkehrende Infekte und Resistenzentwicklungen verantwortlich gemacht. Arzneimittel aus Kapuzinerkresse und Meerrettich werden seit 2017 in der Therapie-Leitlinie bei „unkomplizierten Harnwegsinfektionen“ und wiederkehrenden Blasenentzündungen empfohlen: als neue Behandlungsstrategie – gleichberechtigt neben Antibiotika.
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