Das Glück in der Stille

Wie verändert Meditation unser Leben und Arbeiten? Ein Interview mit Paul Kohtes, früher erfolgreicher PR-Manager, heute Zen-Lehrer

Das Glück in der Stille

© iStock/ALotOfPeople

Herr Kohtes, Sie zählen zu Deutschlands bekanntesten Downshiftern: Mit 28 Jahren haben Sie die Agentur Kohtes & Klewes gegründet und sind damit durchgestartet. Inzwischen ist sie Teil von Europas größter PR-Agentur Ketchum Pleon. Doch mit nur 32 Jahren hat Sie eine schwere Krankheit ausgebremst. Sind Sie heute froh über diesen Schicksalsschlag?
Ja, die Krankheit war ein Korrektiv, das nötig war. Sie hat dazu geführt, dass mein Leben eine neue Richtung bekommen hat. Vorher war ich auf der Überholspur unterwegs: Mein Alltag bestand vor allem aus Arbeit, Kundenterminen und Reisen. Gleichzeitig hatte ich früh geheiratet und wollte mich auch um meine Familie kümmern. Der Druck, der auf mir lastete, war enorm.

Waren Sie damals glücklich?
Ich habe gar nicht darüber nachgedacht, ob ich glücklich bin, weil ich immer gut beschäftigt war. Auch das ist eine Form von Glück, nicht darüber nachdenken zu müssen, ob man glücklich ist. Wobei das sicherlich auch gesundheitsschädlich war. Dennoch habe ich meinen Job gern gemacht – trotz der Spannung.

Nach Ihrer Krankheit haben Sie ein Zen-Seminar besucht, das Sie aus diesem Karussell rausgeholt hat. Was war das damals für eine Erfahrung?
Das war total schrecklich. Ich war ein umtriebiger Manager mit einer eigenen Firma und dann war ich plötzlich in einem Seminar, bei dem ich eine Woche lang nur vor einer Wand sitzen und nichts tun sollte. Zunächst hatte ich im ganzen Körper unglaubliche Schmerzen, gleichzeitig kreisten lauter lästige Gedanken in meinem Kopf. Heute weiß ich, dass das meine ganzen Verspannungen und Blockaden waren, die hier auftauchten. Ich bin da wirklich an meine Grenzen geraten. Ich glaube inzwischen, in meinem Fall war das auch nötig, um eine Veränderung zu erreichen. Aber als ich die sieben Tage durchgestanden hatte und nach Hause fuhr, dachte ich erstmal: Das mache ich nie wieder! Vier Wochen später habe ich mich wieder zu einem Meditationsseminar angemeldet.

Dann haben Sie also im Nachhinein Ihre Meinung geändert?
Ja, denn es gab natürlich auch grandiose Momente, sonst hätte ich das auch keine Woche durchgehalten. Das Meditieren war auch erleichternd. Man lernt, einfach mal still zu sein: Nichts zu tun. Nichts denken zu müssen. Nichts erreichen zu müssen. Nicht jedem Gedanken nach hecheln zu müssen. So ganz im Sein zu sein.

Heute bieten Sie selbst Coachings und Zen-Meditationen für Manager an. Viele denken dabei an Entspannen und Wohlfühlen. Doch bei Ihnen lernen die Führungskräfte, erstmal diszipliniert zu sein und nichts selbst zu bestimmen. Warum ist das wichtig?
Gerade Führungskräfte sind es gewohnt, alles bestimmen zu müssen. Das ist auch ok, aber wenn es zu einseitig wird, führt das leicht zu etwas schrägen Charakteren. Da hilft nur, sich mal hinzusetzen und zu sagen: Jetzt gibt es nichts zu tun. Einfach zwanzig Minuten sitzen, und auch nicht jucken, wenn es juckt. Da kann man sagen: Das ist eine schreckliche Disziplin. Aber es ist auch eine Übung, bei der man lernt, nicht auf alles zu reagieren. Die Erfahrung zu machen, die Dinge einfach mal loszulassen, ist schon eine kleine Revolution.

Was bewirkt dieses Erlebnis in den Managern?
Bei allen Schwierigkeiten, die nahezu unvermeidlich sind, sagen die meisten Seminarteilnehmer nach dreieinhalb Tagen: Wahnsinn. Ich fühle mich, als hätte ich zehn Tage Urlaub gemacht. Denn sie werden mal zu sich selbst geführt, und das ist kolossal entspannend. Und sie lernen: Es gibt da neben dem aktiven Handeln und Sein noch eine tiefere Ebene in uns. Die ist wichtig und wertvoll, denn in ihr nehmen wir unsere Intuition wahr. Trotzdem integrieren die meisten Menschen sie nicht in ihren Alltag. Das ist unsere Zivilisationskrankheit: Wir leben zu einseitig. Ich habe das auch lange gemacht. Doch so entstehen Disbalancen, die häufig zu Krankheiten und Burnout führen.

Wollen Sie damit sagen: Wir müssen jetzt alle anfangen zu meditieren, damit unser Leben wieder in Balance kommt?
Ich bin jedenfalls überzeugt, dass das in unserer Welt einiges zum Positiven verändern würde. Studien haben inzwischen ja gezeigt: Wer meditiert, hat eine entspanntere Grundhaltung im Leben. Man ist nicht so verbissen und seinen Mitmenschen gegenüber mehr zugewandt. Gleichzeitig erschließen wir eine Quelle in uns, zu der wir sonst keinen Zugang haben. Insbesondere Menschen, die viel Verantwortung tragen, brauchen das. Denn Führungskräfte, die nicht stabil, geerdet und empathisch sind, haben irgendwann Schwierigkeiten.

Warum ist Meditieren dann nicht viel weiter verbreitet?
In irgendeiner Form praktizieren das deutlich mehr Menschen, als wir denken. Viele meditieren zum Beispiel während eines Waldspaziergangs oder beim Joggen. Und auch in immer mehr Unternehmen steig das Bewusstsein für die positive Wirkung von Achtsamkeitsübungen. Ich war neulich bei Google im Silicon Valley und deren Programm dazu heißt: „Search inside yourself“. Da haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, meditative Erfahrungen zu machen. Und obwohl ich kein Google-Fan bin, muss ich sagen: Die ganze Atmosphäre in dem Unternehmen ist schon vorbildlich – sehr konstruktiv, wohlmeinend und menschlich. Und die Mitarbeiter lernen darauf zu achten, dass sie nicht ausbrennen. Ich bin froh, dass Google mal vorexerziert, wie das funktioniert.

Dass Unternehmen wie Google inzwischen solche Programme anbieten, könnte auch daran liegen, dass die Generation Y eine bessere Work-Life-Balance einfordert. Ist das eigentlich achtsam und gut oder ist das einfach bequem und faul?
Vermutlich gibt es beides. Ich glaube, dass darunter durchaus auch eine große Zahl von verwöhnten, anspruchsvollen jungen Menschen ist. Aber es gibt auch immer mehr Menschen, die den Wunsch haben, Meditation zu lernen und sich so persönlich weiterzuentwickeln. Da entsteht ein neues Bewusstsein. Und wenn ich sehe, wie gut Meditationsapps wie 7Mind laufen, dann ist das ein Beispiel dafür, dass hier eine neue Bewegung entsteht.

Paul J. Kohtes
Paul J. Kohtes war früher PR-Manager, heute ist er Zen-Lehrer und Führungskräfteberater. Er ist Gründer der „Identity Foundation – Gemeinnützige Stiftung für Philosophie“, die auch Kongresse zum Thema Meditation und Wissenschaft organisiert, der nächste findet im November in Berlin statt.

Dieser Beitrag erschien zuerst online bei: 
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