Das Leben. Ein bunter Hund. Worauf es wirklich ankommt

Warum leben besonders viele Hundertjährige auf Inseln? Wie gesund ist das Leben in der modernen Welt? Ein Buchauszug

Das Leben. Ein bunter Hund. Worauf es wirklich ankommt

© Murmann Verlag

Wo stehe ich eigentlich in meinem Leben? Und wo will ich hin? Das fragten sich Sabine Hübner und Carsten K. Rath – und schrieben ein Buch darüber, worauf es im Leben wirklich ankommt. Auch der Gesundheit widmeten sie ein Kapitel. Lesen Sie hier Auszüge daraus:

„Ist Ihnen das schon mal aufgefallen: Die größten Ansammlungen von Hundertjährigen auf der Welt leben seltsamerweise immer auf Inseln. In Japan ist es Okinawa, die Inselpräfektur, zu der auch die Miyako-Inseln und damit auch Miyako-jima zählen. In China leben überdurchschnittlich viele Hundertjährige auf der Insel Hainan im Süden des Landes. Auch in Europa gibt es Inseln der Hundertjährigen: Sardinien ist die italienische Hochburg der Hochbetagten, und die Griechen scheinen auf Ikaria einen Jungbrunnen versteckt zu haben. Lauter Inseln des langen Lebens.

Zufall? Eine Folge von Meerluft und Sonne? Vielleicht ist es ja auch mehr als das. Es scheint, als ob die relative Isolation des Lebens auf einer Insel, wo die Zeit langsamer läuft und die Zivilisationsentwicklung verzögert auskommt, sich positiv auf die Lebenserwartung auswirkt. Möglicherweise umgibt das Inselleben ja ein Geheimnis, das uns Städtern verborgen bleibt. Vielleicht wohnt dieses Glück, von dem alle immer sprechen, einfach nicht in der Stadt. Vielleicht hat es sich schon vor Generationen zurückgezogen auf eine abgelegene Insel, wo es nicht alle fünf Minuten sein Gesicht in die Kamera hält.

Gesund leben – oder genussvoll?

Während die hundertjährigen Dörfler auf Miyako-jima ganz entspannt einfach das essen, was sie schon vor knapp 100 Jahren aßen, wird durch unsere Dörfer ein Ernährungstrend nach dem anderen getrieben. Komischerweise tritt jeder einzelne davon mit dem Anspruch auf ultimative Relevanz für ein langes Leben an. Immer heißt es »Entweder-oder«, nie »Sowohl-als-auch«. Und komischerweise soll alles, was angeblich besonders gesund ist, auch immer besonders schlank, sexy und potent machen. Fragt sich nur, warum manche Models sich auch heute noch Wattebällchen einwerfen, um sich satt zu fühlen, ohne tatsächlich etwas zu essen. Bei all den Wunder-Ernährungsplänen da draußen müssten wir eigentlich längst alle aussehen wie von einem Katalog-Cover gesprungen.

Erst wurden unsere Diäten von den Kohlehydraten befreit, dann von der Laktose und dann vom Fleisch. Neulich, als wir uns ein Abendessen gönnten, das vermutlich nicht ganz den Geschmack der Gesundheitsapostel getroffen hätte, gedachten wir ein wenig nostalgisch der alten Zeiten in der Gastronomie. Gerade in gehobenen Restaurants wurde man früher behandelt wie ein Aussätziger, wenn man nach fleischloser Kost verlangte.

„Ich habe in Grand Hotels noch mit Spitzenköchen gearbeitet, die sich strikt geweigert haben, überhaupt einen vegetarischen Hauptgang zuzubereiten. Und »vegan« war ein Schimpfwort.“ – Carsten K. Rath

Heute sind die Machtverhältnisse umgekehrt: Keine Firmenkantine und kein Krankenhaus kann es sich mehr leisten, keine vegetarische Option anzubieten. Damit wir uns richtig verstehen: Auch wir haben keine Zweifel daran, dass bewusste Ernährung ein ganz wichtiger Schritt auf dem Weg zur 100 ist. Und wir haben ganz und gar nichts gegen Vegetarier oder Veganer. Auch wir achten darauf, was, wann und manchmal auch wie viel wir essen.

Eine Kollegin fastet regelmäßig, obwohl sie schon schlank genug ist. In dieser Zeit erlaubt sie sich maximal 25 Gramm Süßes am Tag und hält das konsequent durch. Wir bewundern sie dafür, denn das ist eine Form von Disziplin in der Lebensgestaltung, die wir wahrscheinlich nicht wichtig genug nehmen.

Einiges spricht dafür, dass diese Generation gesundheitsbewusster Professionals mit ihrer gesunden Ernährung durchaus bessere Chancen auf den 100. Geburtstag hat als wir. Zum Beispiel die Statistiken über ausgewanderte Okinawaner. Die liefern nämlich einen Beweis dafür, dass die Tradition eines zurückgezogenen Landlebens mit ursprünglicher Ernährung sehr viel mit der hohen Quote an Hundertjährigen zu tun hat. Wo diese Tradition verloren geht, sinkt auch die Lebenserwartung.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen etwa 100 000 Okinawaner nach Brasilien und passten sich den dortigen Gepflogenheiten an – auch in der Ernährung. Sie nahmen mehr rohes Fleisch, Zucker und Salz zu sich und ließen ihre alten Ernährungsgewohnheiten hinter sich. Die Folge: »Ihre Lebenserwartung liegt jetzt 17 Jahre unter der in Okinawa«, berichtete der Kardiologe Makoto Suzuki Journalisten auf der Suche nach dem Heiligen Gral des Alterns. Doch auch auf Okinawa selbst schwächeln die nachfolgenden Generationen. Der Hauptgrund hierfür, so Suzuki: In Okinawa, speziell der Hauptstadt Naha, essen immer mehr Menschen westlicher als irgendwo sonst in Japan. Durch die starke US-Militärpräsenz in Okinawa gibt es überall Fast-Food-Ketten, Schnellimbisse, Eisdielen. Die jungen Leute ziehen aus den Dörfern weg in die Stadt, bewegen sich in ihren Bürojobs zu wenig und essen aus der Mikrowelle.

Die Lebenserwartung, die in den meisten Industriestaaten der Welt steigt, sinkt in Okinawa – weil die jungen Generationen dem Lebensstil ihrer Eltern und Großeltern entsagen. Hier gibt es Hundertjährige, die den natürlichen Tod ihrer eigenen Kinder erlebt haben, weil diese ein anderes Leben gewählt haben als sie selbst.

Angesichts der Geschichten aus Japan stellt sich uns die Frage, was mehr wert ist: das Leben als Ganzes oder der einzelne gelebte Moment? Welcher dieser beiden Werte ist relevant für die Entscheidungen, die wir in Bezug auf unsere Lebensweise täglich treffen? Was ist die Priorität – Gesundheit oder Genuss? Was ist für uns – für jeden Einzelnen von uns ganz persönlich – relevanter? Schon wieder so eine Entweder-oder-Frage.

Wir finden: Alles, was guttut, muss Raum im Leben finden. Denn alles, was guttut, ist nur eine Frage der Dosierung – sogar Vitamine und Sport werden mit der entsprechenden Dosis zum Gift. Und das ist der Punkt, wo wir an den Kasteiungsphilosophien zweifeln: Warum auf etwas verzichten, das im richtigen Maß so große Relevanz für unsere Lebensgestaltung hat wie der Genuss?

Können wir uns für Gesundheit entscheiden?

Wir können uns zumindest entscheiden, bewusst(er) zu leben. Doch wie realistisch wäre die Forderung, ab sofort nur noch gesunde Entscheidungen zu treffen? Alles im Leben auszublenden, das uns krank macht – die negativen Menschen, die Zeitdiebe, all die Stressfaktoren, die Mediziner und Zeitmanagement-Gurus ausgemacht haben? Konsequent könnten wir diesen Weg nur gehen, wenn wir das Sinnbild vom Inseldasein wörtlich nehmen und abhauen. Realistischer scheint uns, das, was wir nun mal tun, so gesund wie möglich zu tun. Beim Abwägen zwischen mehreren Optionen so oft wie möglich zur gesünderen zu pendeln. Die Energiebilanz im Großen und Ganzen so ausgeglichen wie möglich zu halten, ohne dogmatisch Verzicht zu üben. Wenn wir möglichst viele unserer gelebten Momente auf diese Balance beziehen, haben wir unzählige Male am Tag die Möglichkeit, etwas für unser Wohlbefinden zu tun und damit direkt Einfluss auf unsere Gesundheit zu nehmen – durch die Wahl, die wir treffen: Relevanzentscheidungen.

Inseln der Relevanz

Letztlich entscheiden wir selbst, wie viel Relevanz wir den Stressoren in unserem Leben geben, auch den hausgemachten. In diesem Sinne, davon sind wir fest überzeugt, ist Gesundheit tatsächlich eine Entscheidung. Denn die mentale Gesundheit hängt entscheidend davon ab, wie wir mit den eigenen Schwächen und der Frustration umgehen. Und sie hängt auch davon ab, wie wir das eigene Ego in die Welt einordnen, die uns umgibt.

Gesundheit ist immer eine Frage des Maßes, und Balance heißt nicht Stillstand. Eine Waage, deren Schalen sich nie gegeneinander bewegen, ist festgeschraubt. Wenn das so ist, dann ist Gesundheit auch davon abhängig, wie konsequent wir unser Leben auf das einrichten, was uns relevant erscheint – und wie konsequent wir alles andere ausblenden. Und alle anderen. Je mehr der gelebten Momente wir mit dem verbringen, was wir wirklich für uns selbst tun – ob nun allein oder mit anderen –, desto gesünder leben wir. Und, wenn das Leben so spielt: auch desto länger.“


Das Leben. Ein bunter Hund

Freiheit oder Beruf, Freundschaft oder Stil, Geld oder Religion, Gesundheit oder Liebe, oder alles zusammen oder nichts davon – das Leben hält mehr als eine Antwort auf diese Frage bereit. Sabine Hübner und Carsten K. Rath beschäftigen sich in dem Buch „Das Leben. Ein bunter Hund“ mit den „wirklich wichtigen“ Fragen des Lebens, finden ihre eigenen Antworten und geben doch keine allgemeingültigen. Stattdessen regen sie dazu an, selbst zu überlegen: „Wer macht mich glücklich?“ – „Für wen arbeite ich?“ – oder auch: „Woran kann ich glauben?“. Murmann Verlag, 24,90 Euro.

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