Zuerst war da der Hype um die Faszien, um das elastische Bindegewebe, welches alle Muskeln, Organe, Nerven, Knochen und Gelenke ummantelt und ihnen Stabilität verleiht. Und dann kam das Faszientraining, ein von dem Humanbiologen Dr. Robert Schleip von der Universität Ulm entwickeltes Trainingskonzept. Denn unser Alltag – mit vielen Stunden vor Bildschirmen und wenig Zeit für Bewegung – führt häufig zu einer Verklebung des feinen Bindegewebsnetzes. Die Folge: Schmerzen und Bewegungseinschränkungen. Faszientraining will die Faszien mit sanften Dehnübungen sowie mit Rollen und Kugeln aus verdichtetem Schaumstoff wieder geschmeidig machen und uns so mehr Wohlbefinden schenken. Ein großes Versprechen, das ich mithilfe der Faszientherapeutin Tanja Bindschädel vom Hamburger Studio Tativa direkt mal überprüfe, schließlich plage ich mich schon länger mit Nackenschmerzen und einem Fersensporn herum. Nach wenigen Trainingsminuten stelle ich als Erstes fest:
Faszientraining ist anstrengend
1 Ich hatte eine entspannte Stunde erwartet. Denn anders als beim klassischen Fitnesstraining geht es weder um Kraft noch um Ausdauer. Vielmehr sollen mithilfe der Blackroll, der unterarmlangen Rolle, ohne die kein Promi mehr das Haus verlässt, die verklebten Faszien ausgerollt werden. „Das ist so, als würde man verfilztes Gewebe auskämmen“, erklärt Bindschädel. Durch den Druck der Rolle wird Flüssigkeit ins Bindegewebe hineingepresst. Das pflegt die Struktur und macht das Gewebe leistungsfähiger. Um zum Beispiel die Faszien in den Oberschenkeln zu bearbeiten, rolle ich auf der Blackroll in Liegestütz-Position über den Boden – und das ist ganz schön schweißtreibend. Na, hoffentlich bringt es auch was.
Faszientraining liefert keine blitzschnellen Erfolge
2 Einmal hin- und hergerollt, und weg sind die Verspannungen? „Nein. Auch wenn es oft so verkauft wird: Faszientraining ist kein Wundersport. Das Bindegewebe benötigt Zeit für die Regeneration. Man braucht deshalb Geduld und muss regelmäßig trainieren, im Idealfall zwei-, dreimal pro Woche für mindestens 30 Minuten. Nach etwa vier bis sechs Wochen spürt man die Veränderung“, weiß Bindschädel. Welche Effekte dabei zu erwarten sind, hängt ganz von der Ausführung ab.
Beim Faszientraining kommt es auf die Geschwindigkeit an
3„Schnelles Rollen mit wenigen Wiederholungen aktiviert die Faszien und ist ein idealer Start ins Ausdauer- und Krafttraining, da die Leistungsfähigkeit der Muskeln verbessert wird“, so Bindschädel. Darum setzen auch viele Profisportler auf die Methode. „Langsames Rollen mit zwölf bis 15 Wiederholungen entspannt dagegen die Faszien und verringert dadurch auch die Spannung in den Muskeln.“ Da dieser Punkt für mich im Fokus steht, stelle ich mich nun mit dem Rücken an die Wand, klemme die feste Schaumstoffrolle waagerecht auf Höhe meines Lendenbereichs hinter mich und mache Kniebeugen in Zeitlupe. Die Rolle wandert dabei rauf und runter.
Faszientraining tut weh
4 „Zu Anfang können bestimmte Übungen unangenehm sein oder sogar schmerzen. Damit signalisiert der Körper den Handlungsbedarf“, kommentiert Bindschädel meine Grimasse während der Kniebeugen. Spätestens nach dem dritten Training sollten jedoch keine körperlichen Beschwerden mehr auftreten. „Das könnte sonst ein Hinweis auf eine Verletzungsein, die von einem Arzt abgeklärt werden muss“, so die Expertin. Bindschädel rät Interessierten, einen Kurs bei einem qualifizierten Trainer zu besuchen. Diese Kurse werden inzwischen auch günstig an vielen Volkshochschulen angeboten. So lassen sich Anwendungsfehler vermeiden und die richtige Reihenfolge der Übungen erlernen. „Sinnvoll ist es, mit den Füßen zu beginnen und sich langsam hochzuarbeiten. Die Wirbelsäule und weibliche Brust sollten beim Rollen ausgespart und beide Seiten symmetrisch trainiert werden, um Dysbalancen zu vermeiden“, warnt Bindschädel und reicht mir aus gutem Grund meine Wasserflasche.
Beim Faszientraining sollte man nicht auf dem Trockenen sitzen
5Während bei anderen Sportarten oft durchgepowert wird, sollte man hier vor, beim und nach dem Training innehalten und viel stilles Wasser trinken. So sind die Speicher ausreichend gefüllt, um die Faszien mit Flüssigkeit zu versorgen. „Auch die Ernährung spielt eine große Rolle“, sagt die Trainerin und empfiehlt, viel Vitamin C (z. B. in Paprika und Zitrusfrüchten) und Aminosäuren (z. B. in Walnüssen, Reis und Buchweizen) zu essen und säurebildende Lebensmittel wie Zucker und Fleisch weitgehend zu vermeiden. Wer sich daran hält, verliert wahrscheinlich auch ein paar Pfunde. „Faszientraining als Schlankmacher oder Mittel gegen Orangenhaut zu bezeichnen, halte ich aber für übertrieben“, räumt Bindschädel ein.
Einige Wochen später
Um es kurz zu machen: Wie gut mir das Faszientraining tut, war für mich selbst eine Überraschung. Schon die Probestunde hat mir so gefallen, dass ich mir gleich danach ein vierteiliges Set, bestehend aus zwei unterschiedlich großen Rollen und Bällen, gekauft habe (für 50 Euro). Und dann habe ich auch noch mehrmals pro Woche zu Hause trainiert – dass ich das wirklich tue, hatte ich ebenfalls nicht erwartet. Es hat sich ausgezahlt: Mein Nacken ist seitdem butterweich, und auch mein Fuß piesackt mich fast nicht mehr.
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