Bis vor Kurzem dachte ich beim Wort Fermentieren vor allem an zwei Dinge: Sauerkraut und explodierende Gläser. Sehr viel mehr wusste ich über diese uralte Konservierungstechnik nicht. Warum auch? Die Zeiten, in denen wir durch Vergären Lebensmittel haltbar gemacht haben, sind lange vorbei – das dachte ich zumindest. Bis ich vor ein paar Wochen durch Zufall im Internet von den Wunderkräften las, die Vergorenes haben soll: Ich erfuhr, dass Köche Fermentiertes feiern, weil es die Geschmacksknospen in neue Welten führt.
Immer mehr Gesundheitsapostel würden es propagieren, weil darin enthaltene Probiotika die Verdauung auf Vordermann bringen, das Immunsystem stärken und unser psychisches Wohlbefinden verbessern können. Und angeblich wecken seit Neustem auch unzählige Gartenbesitzer ihr selbstgezüchtetes Gemüse wieder ein, um es haltbar zu machen. Der Hype machte mich neugierig: Was steckt dahinter? Und wo lernen all die Leute das Fermentieren überhaupt? Ich wurde schnell fündig: In Berlin versprach zum Beispiel der Kurs „Kimchi, Kraut und Pickles“, „die verlorene Kunst der Gärung als energieeffiziente Konservierungstechnik zurückzugewinnen“. Kurz entschlossen meldete ich mich an.
Ein paar Tage später betrete ich mit einem leeren Joghurtglas im Gepäck die Räume einer alten Buchstabenwerkstatt im Stadtteil Neukölln. Hier soll ich in den nächsten zwei Stunden in die Welt vergorener Lebensmittel eintauchen – wortwörtlich. Denn in der Mitte des Raums verbreitet eine große Kolonne von Einmachgläsern einen säuerlich-würzigen Geruch. Kimchi, Miso-Butter, Rotkohl, Sauerkraut und geräucherter Bohnen-Dip, in anderen Töpfen Regenbogenkraut und jede Menge eingelegtes Gemüse.
Warum ist Fermentieren so gesund?
„Im Prinzip kann man alles fermentieren“, erklärt uns 13 Kursteilnehmern die kanadische Fermentierexpertin Alexis Goertz zu Beginn. „Der Prozess ist ganz einfach: Hefebakterien essen Zucker und produzieren Blasen.“ So entsteht ein saures Milieu, das das Gemüse wie ein natürlicher Konservierungsstoff vor dem Verderben schützt – zum Teil jahrelang. Die nötige Hefe sitze bereits auf der Schale von jedem Obst und Gemüse. Damit Fermentation möglich wird, muss also nur der Zucker im Innern für die Hefe zugänglich gemacht werden. Doch wie?
„Es ist ganz einfach“, verrät Alexis. „Nach dem Zerkleinern wird das Gemüse mit Salz gemischt. Das bricht die Zellwände auf, und zieht Wasser und Zucker heraus.“ Anschließend wird das Gemüse in der Salzlake von der Luft abgeschlossen. Das ist alles. „Und warum ist Fermentiertes dann so gesund?“, will ich von Alexis wissen: „Es entstehen beim Vergären wertvolle Enzyme, der Vitamin Gehalt des Gemüses erhöht sich und es bilden sich Stämme von Probiotika“, erklärt sie. Wer regelmäßig Fermentiertes esse, helfe daher, die Darmflora ins Gleichgewicht zu bringen.
Damit ist die Theorie vorbei und es geht ans Einmachen: Große Mengen Gemüse liegen für uns bereit, außerdem Messer, Bretter, Schüsseln, Meersalz und Gewürze. Für das Kimchi benötige ich Chinakohl, Ingwer, Zwiebel und Knoblauch. Das Verhältnis der Zutaten soll ich selbst bestimmen. Ruckzuck ist alles in kleine Stücke zerschnitten und steht in einer Schüssel zum Wiegen bereit. Je 100 Gramm Gemüse müssen 2,5 Gramm Meersalz dazu gemischt werden.
Der Deckel meines Glases wölbt sich bedenklich
Damit es echtes Kimchi wird, würze ich meinen Mix noch mit Chilipulver und koreanischer Fischsauce und beginne mit dem wichtigsten Schritt: dem Kneten. Meine Hände durchmengen das Gemüse und magische Minuten später hat das Salz tatsächlich so viel Wasser aus dem Gemüse gezogen, dass es in einer Salzlake schwimmt. Das Kimchi darf jetzt ins Joghurtglas. Zuletzt soll ich ein großes Kohlblatt auf das zerkleinerte Gemüse legen und es damit vollständig unter die Lake drücken. Denn nur wenn das Gemüse vollständig unter Wasser ist, wird es konserviert. Fertig! Fünf Tage müssen wir unser eingelegtes Gemüse nun ruhen lassen, damit es fermentieren kann, erklärt uns Alexis zuletzt. Als ich zuhause ankomme, platziere ich mein Joghurtglas im Küchenregal und beobachte jeden Tag, was passiert.
Tag drei bringt bereits eine Überraschung: Der Deckel meines Glases wölbt sich so bedenklich in die Höhe, als drohe es zu explodieren. Ich beschließe, Druck abzulassen. Wie bei einer kräftig geschüttelten Sekt Flasche entladen sich die Gase. „Blasen sind ein Zeichen von Erfolg“, hatte Alexis erklärt. Demnach ist mein Kimchi extrem erfolgreich! An Tag fünf darf ich es endlich probieren. Es prickelt auf der Zunge, und schmeckt scharf und würzig. Lecker! Ich bin zufrieden mit meinem ersten Kimchi – noch.
Denn zwei Wochen später weiß ich: etwas weniger Ingwer und Knoblauch wären besser gewesen, inzwischen ist das Aroma definitiv zu intensiv. Und noch etwas Wichtiges habe ich gelernt: Man muss tatsächlich immer das Gemüse unter Wasser drücken. Sonst bildet sich Schimmel und der bringt zwar keine Gläser zum Explodieren, stattdessen aber ganz leicht den Bauch. Mein Kimchi-Glas ist anschließend in den Müll gewandert. Meine Begeisterung für Fermentiertes aber ist geblieben. Vielleicht lerne ich nächstes Mal, Kefir zu machen. Oder ich lege einfach Salzgurken ein, da dürfte wohl nicht allzu viel schief gehen.
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