Die Gründe von Depressionen sind vielfältig. Es ist nicht nur so, dass mehr Menschen erkranken, es werden auch häufiger Diagnosen gestellt.
Zunehmende Diagnose
„Ein Grund für die steigenden Diagnosen hängt damit zusammen, dass psychische Probleme heute weniger stigmatisiert sind“, erklärt Dr. med. Iris Hauth, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie sowie Ärztliche Direktorin des Alexianer St. Joseph Krankenhauses in Berlin-Weißensee. Durch das Thematisieren in der Öffentlichkeit trauen sich viele eher, wegen schlechter Stimmung zum Arzt zu gehen: „Früher ging man primär wegen körperlicher Beschwerden zum Hausarzt. Deshalb sind Ärzte mittlerweile besser in der Lage, psychische Erkrankungen zu erkennen und zu behandeln.“ Je intensiver und anhaltender das Unwohlsein, desto größer das Risiko, dass sich daraus ein Burn-out und schlimmstenfalls eine Depression entwickelt. Laut einer repräsentativen Umfrage des Robert-Koch-Instituts stagniert die Zahl von depressiv Erkrankten in Deutschland seit 1998 bei knapp fünf Millionen. In der Altersgruppe der 20- bis 30-jährigen und ab dem 75. Lebensjahr ist die Zahl der Betroffenen besonders hoch. Frauen trifft es häufiger als Männer, sie suchen sich aber auch schneller Hilfe. Psychische Störungen werden in Deutschland nach der internationalen Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) diagnostiziert. Danach liegt eine Depression vor, wenn Hauptsymptome wie Antriebslosigkeit, traurige Stimmung, Interessenverlust und Angst einen gewissen Schweregrad haben und mehr als 14 Tage anhalten. Worin besteht der Unterschied zum Burn-out? „Burn-out ist ein Erschöpfungszustand, hervorgerufen durch anhaltende Überforderung. Bei zu später Behandlung stellt er ein Risiko dar, zu einer klassischen Depression zu werden.“
Gründe von Depressionen sind komplex
„Die Entwicklung und die Gründe von Depressionen sind vielschichtig“, erklärt Dr. Hauth. „Bei der Entstehung von Depressionen gehen wir von biologischen, psychologischen und sozialen Ursachen aus.“ Vererbung kann eine Rolle spielen. Hatten beide Elternteile eine Depression, ist es für das Kind wahrscheinlicher, daran zu erkranken: „Das muss aber nicht sein. Erst Umweltbelastungen wie anhaltender Stress rütteln die Gene wach.“ Auch hormonelle Veränderungen können der Grund für eine Depression sein. Zudem ist oft das Gleichgewicht bestimmter Botenstoffe – der Neurotransmitter – im Gehirn gestört: „Im limbischen System sind Gefühle und Antrieb verortet. Bei Depressionen sind hier die Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin in zu geringer Konzentration vorhanden. Mittelschwere und schwere Depressionen lassen sich allerdings medikamentös gut behandeln“, so die Expertin. Neben den biologischen Ursachen beziehen sich andere etwa auf die frühkindliche Zeit. „Wer in einer lieblosen, nicht förderlichen Umgebung aufwächst oder Traumata erlebt hat, wie den Verlust eines Elternteiles oder Scheidung, ist eher gefährdet.“ Psychosoziale Faktoren wie Arbeitsstress, Partnertrennung oder Überforderung durch Beruf und Familie sind auch im späteren Alter oft auslösende Faktoren.
Professionelle Hilfe
Betroffene sollten sich frühzeitig an ihren Hausarzt oder Facharzt wenden. Um die langen Wartezeiten für eine Psychotherapie zu überbrücken, gibt es seit 2017 eine Akutsprechstunde, in der man innerhalb von 14 Tagen einen Termin bekommt. Auch bieten viele Krankenkassen wirksame Onlineangebote. Zum Beispiel das kostenlose Programm Mood- gym: „Negative Welt- oder Selbstsichten wie ‚Alles, was ich anpacke, misslingt’ werden hier in sehr spannenden Übungen umprogrammiert.“ Darüber hinaus rät Dr. Hauth, feste Arbeits- und Pausenzeiten einzuhalten, digitale Geräte mal abzuschalten, sich stattdessen sportlich zu aktivieren, sich zu Hause einen kontrollierbaren, gemütlichen Raum zu schaffen oder sich um sein soziales Umfeld zu bemühen. Bei aller Neigung zur permanenten Selbstoptimierung ist es wichtig, auch einfach mal gar nichts zu tun – frei nach Loriot: „Was machst du? Ich schaue.“ Unterstützend wirken hier Entspannungstechniken wie autogenes Training, Meditation und Muskelrelaxation. Dr. Hauth empfiehlt außerdem achtsamkeitsbasierte Therapien, die der Autor Jon Kabat-Zinn von den buddhistischen Mönchen abgeguckt hat: Dabei geht es darum, das Hier und Jetzt aufmerksam in all seiner Schönheit wahrzunehmen oder in all seiner Problematik bewusst zu erfassen und einen angemessenen Umgang damit zu erlangen.
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