Auch Pflanzen können sich wehren. Nicht nur mit Dornen oder Brennhaaren, sondern durch hochwirksame Schutzstoffe, die Fressfeinde vertreiben. Diese geheimen Waffen in Blüten und Blättern, Stängeln und Samen faszinieren zunehmend Forscher und Ärzte. Denn einige von ihnen können als natürliche Antibiotika auch Krankheitserreger beim Menschen bekämpfen. In vielen Fällen gelten sie sogar als sinnvolle Alternative zu herkömmlichen Mitteln.
Diese pflanzlichen Stoffe haben viele Vorteile. „Sie wirken meist gleichzeitig gegen Bakterien, Viren und Pilze. Chemische Antibiotika wirken nur antibakteriell“, sagt die Biologin und Buchautorin Felicia Molenkamp*. Darüber hinaus trifft die chemische Keule nicht nur die schädlichen, sondern auch die nützlichen Bakterien im Körper und bringt zum Beispiel die Darmflora durcheinander, was Durchfall und Pilzinfektionen begünstigt. Kräuter mit natürlicher antibiotischer Wirkung, wie sie Felicia Molenkamp empfiehlt, „verursachen grundsätzlich keine Schäden“, sagt sie. Im Gegenteil: Sie fördern die Selbstheilungsmaßnahmen unseres Organismus, indem sie zum Beispiel weiße Blutkörperchen bei ihrer Arbeit unterstützen. Mit ihren Vitaminen, Spurenelementen und Mineralstoffen stärken Pflanzenextrakte und frische Kräuter zusätzlich das Immunsystem.
Neue Waffen gegen Krankheitserreger werden auch dringend gebraucht. Denn die vorhandenen verlieren deutlich an Durchschlagskraft: Gegen den Wirkstoff Cotrim zum Beispiel, der jahrzehntelang das gängige Mittel gegen Blasenentzündungen war, sind heute ein Drittel der Erreger resistent, gegen Ampicillin sind es sogar 60 Prozent der Bakterien. Problemkeime wie MRSA („Methicillin-resistente Staphylococcus-aureus-Stämme“) reagieren nicht mehr auf Penicillin und verwandte Wirkstoffe, einige auf kaum einen Wirkstoff mehr. Solche „Superkeime“ verbreiten vor allem im Krankenhaus Angst und Schrecken, wo viele Menschen sind, deren Immunsystem geschwächt ist. Ursachen für die Resistenzen sind unter anderem der zu reichliche und oft zu rasche Gebrauch von Antibiotika – auch in Situationen, in denen diese an sich lebensrettenden Medikamente gar nichts bringen. Bei fieberhaften Erkältungen und Grippe zum Beispiel, die von Viren ausgelöst werden.
Gegen Pflanzen stumpfen Keime nicht ab
Resistenzen gegen Pflanzenantibiotika kommen dagegen kaum vor. Der Grund: Die Wirkung pflanzlicher Extrakte beruht nicht auf einzelnen Inhaltsstoffen wie bei chemischen Präparaten, sondern auf dem Zusammenspiel unzähliger Stoffe. Gegen so eine Gruppe von Wirkstoffen resistent zu werden, ist für Mikroorganismen ungleich schwieriger.
„Gelingt es einer Bakterie in der Natur doch, eine Pflanze zu schädigen, können deren Nachkommen Strategien gegen den Erreger entwickeln“, sagt Felicia Molenkamp, „Pflanzen haben so in Millionen von Jahren ihre Abwehrkräfte angepasst.“
Bei wild wachsenden Pflanzen hängt der Wirkstoffgehalt auch vom Klima ab
Zu den Trägern besonders wirkungsvoller Schutzstoffe zählen viele bekannte Pflanzen, die traditionell in der Heilkunde verwendet werden. Zum Beispiel Meerrettich oder Kapuzinerkresse. Eine Studie der Universität Freiburg hat die Wirkung der Senföle aus diesen Pflanzen bei Infektionen der Harn und Atemwege untersucht. „Wir haben gezeigt, dass diese senfölhaltigen Pflanzen gegen eine Vielzahl von bedeutenden Infektionserregern, die sogar hochresistent sein können, wirksam sind“, sagt der Studienleiter und Infektiologe Professor Uwe Frank. Senföle können gerade in der Anfangsphase der Erkrankung eine Infektion bekämpfen, bevor sie sich etabliert.
Gleiches gilt für Lauchöle. Die stärkste antibiotische Wirkung hat hier Knoblauch, der etwa gegen Entzündungen der Atemwege oder Scheidenpilz und sogar gegen Problemkeime eingesetzt wird. Hochwirksame Substanzen sind auch die ätherischen Öle der Pflanzen. Thymian und Oreganoöl helfen bei Erkrankungen der Lunge und des Verdauungstraktes, Kamille und Salbei wirken besonders im Mund und im Rachenbereich. Die antibakterielle Wirksamkeit von ätherischem Korianderöl ist bei Hautinfektionen nachgewiesen. Und auch andere Pflanzenstoffe haben einen positiven Effekt: Der rote Farbstoff in Cranberrys sorgt dafür, dass sich einige Bakterienarten, die Blasenentzündungen verursachen, schlechter an die Blasenschleimhaut anheften können. Außerdem schützen Bitter, Gerb und Schleimstoffe vor unliebsamen Angreifern. Doch immer ist es das Zusammenspiel vieler, teils noch unerforschter Wirkmechanismen, die die Heilkraft ausmachen.
Es bieten sich zahlreiche Möglichkeiten, antibiotisch wirkende Pflanzen einzusetzen. Als Teemischung oder Auflage, als Saft und Öl; oder frisch gepflückte Kräuter in Salaten oder als gesunde Zutat in warmen Gerichten. Allein pflanzliche Fertigarzneien aus der Apotheke enthalten jedoch eine konstante Arzneistoff menge – die bei wild wachsenden Pflanzen von Klima und Standort abhängt.
Pflanzliche Antibiotika wirken langsamer als die Tabletten mit den herkömmlichen Inhaltsstoffen. Doch gerade vorbeugend sowie bei leichten oder mittelschweren Infekten sind sie die bessere Wahl. Wenn sich Beschwerden nicht bessern, ist allerdings immer ärztlicher Rat gefragt. Denn natürlich können Pflanzenstoffe Antibiotika längst nicht immer ersetzen. Ein neuer, überaus vielversprechender Ansatz in der Forschung ist jedoch die Kombination von herkömmlichen Antibiotika und ätherischen Ölen. Die Pflanzenkraft kann die antibiotische Wirksamkeit verbessern und sogar Resistenzen überwinden, zeigt zum Beispiel eine niederländische Übersichtsarbeit. Ein Hoffnungsschimmer im Kampf gegen Resistenzen. Amerikanische Mikrobiologen sehen in dieser Mischung sogar die Medizin der Zukunft.
* „Kräuter-Biotika: Antibiotisch wirkende Inhaltsstoffe essbarer Wildpflanzen“ von Felicia Molenkamp. AT-Verlag, April 2015
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