So gesund: Frau Jahn-Zöhrens, statistisch gesehen werden in Deutschland ein bis zwei von 100 Babys in einer Hausgeburt geboren. Das ist nicht viel, wenn man sich z.B. die Niederlande oder die skandinavischen Länder anschaut. Dort scheint die Geburtshilfe fest in den Händen der Hebammen zu sein. Warum nicht auch bei uns?
Ursula Jahn-Zöhrens: Das hat historische Hintergründe. In Holland waren die Hebamme und der Hausarzt schon immer für die primäre Gesundheitsversorgung zuständig – und sind es auch heute noch. Die Facharztsituation hat sich dort nicht so ausgebreitet wie bei uns. Dort ist die Schwangerenvorsorge und die Begleitung von Geburten in der Hand der Hebammen und des Hausarztes. So war das bei uns bis in die 60er-Jahre
auch. Doch dann wurde unser Gesundheitssystem gewollt verändert und die Hebammen konnten die Geburtshilfe nicht mehr abrechnen. Sie waren von heute auf morgen arbeitslos. Da haben sich Dramen abgespielt, von denen heute keiner mehr redet. Die Situation wurde im Laufe der Zeit zwar besser, doch heute gibt es immer wieder Konflikte zwischen Gynäkologen und Hebammen.
S. G.: Inwiefern?
Jahn-Zöhrens: Die wichtigste Voraussetzung für eine Hausgeburt ist, dass sich die Schwangere und die Hebamme gut kennenlernen. Und wenn sich eine Schwangere eine Geburt bei sich zu Hause oder in einem Geburtshaus wünscht, so ist das für uns Hebammen ein starkes Qualitätskriterium, auch Teile der Schwangerenvorsorge zu machen. Dabei bekommen wir ganz wichtige medizinische Informationen, die wir für die Selektion, also die Entscheidung für oder gegen eine Hausgeburt, dringend benötigen. Das sehen Gynäkologen nicht gerne, weil sie die Schwangerenvorsorge-Pauschale nicht für sich abrechnen können.
Viele Ärzte sprechen sich aber auch ganz klar gegen Hausgeburten aus.
Jahn-Zöhrens: Es gibt tatsächlich einige Ärzte, die eine Hausgeburt grundsätzlich nicht unterstützen möchten – und da auch dagegen argumentieren und so Frauen verunsichern. Deren Kritik ist aber wissenschaftlich nicht belegt. Dieser Konflikt zwischen unseren Berufsgruppen ist hart und geht zulasten von Schwangeren, die dazwischen zerrieben werden. Wir sind dringend aufgefordert, dass wir auf fachlicher Ebene gut zusammenarbeiten. Im Einzelnen funktioniert das auch, aber im Großen dann eben nicht. Bis jetzt ist es nicht gelungen, für die Schwangerenvorsorge eine Lösung zu finden, die die Frau im Fokus hat. Wir setzen große Hoffnung in das nationale Gesundheitsziel rund um die Geburt. Hier wird die Schwangere ins Zentrum gestellt und diese darf erwarten, dass die Fachleute sich einig sind.
Was sind die Kriterien für eine außerklinische Geburt?
Jahn-Zöhrens: Die Hausgeburt ist für Frauen ohne besondere Risiken und für Schwangerschaften, die ganz normal verlaufen, eine reelle Alternative zur Klinikgeburt. Bluthochdruck und Schwangerschaftsdiabetes der Mutter z.B. schließen eine außerklinische Geburt aus. Der Kriterienkatalog legt fest, ob eine außerklinische Geburt von der Krankenkasse bezahlt wird.
Wann wird eine außerklinische Geburt abgebrochen und in eine Klinik verlegt?
Jahn-Zöhrens: Der häufigste Grund für eine Überleitung ist die Erschöpfung der Mutter und ihr Wunsch nach Schmerzmitteln, die zu Hause nicht möglich sind. Im Jahr 2018 wurden 13.828 außerklinische Geburten begonnen – man erfasst immer die Geburten, die begonnen wurden. Davon wurden 85 Prozent auch zu Hause beendet. Das ist eine gute Zahl, die auch nur deshalb möglich ist, weil die Hebammen sehr verantwortungsbewusst entscheiden, welche Frau außerklinisch gebären kann und welche nicht. In meinen 30 Jahren als Hebamme habe ich auch schon Frauen in die Klinik geschickt, nicht, weil die Herztöne des Kindes schlecht waren, sondern weil mir ein siebter Sinn gesagt hat: Da stimmt etwas nicht. Und das hat sich im Nachhinein auch bewahrheitet. Auch das ist die Kunst in der Geburtshilfe.
Was spricht für eine außerklinische Geburt?
Jahn-Zöhrens: Der Mensch ist ein Säugetier und Säugetiere ziehen sich für Geburten in gesicherte Räume zurück. Dort kann man loslassen, die Hormone können wirken, die Stresshormone werden zurückgedrängt, es gibt kein Flight-and-Fight-Syndrom und damit wird das Öffnen des Muttermundes und das Entlassen des Kindes in die Welt unterstützt. In der Klinik-Umgebung kann es manchmal sein, dass sich Frauen nicht trauen, wirklich loszulassen. Ich kann das Wort Entbindung nicht leiden, aber ich wünsche mir, dass Frauen unter der Geburt sich von ihrer Selbstkontrolle entbinden lassen und sich benehmen können, wie sie wollen.
Wenn eine Frau ihr Kind außerklinisch zur Welt bringen will, was muss sie als Erstes tun?
Jahn-Zöhrens: Wer sich eine Begleitung im außerklinischen Setting wünscht, muss sich so früh wie möglich drum kümmern. Am besten wenn man weiß, dass man schwanger ist, bald im Geburtshaus anrufen und eine Hebamme suchen. Erst im Verlauf der Schwangerschaft wird entschieden, ob es möglich ist.
Ursula Jahn-Zöhrens
„Rund 115 Geburtshäuser gibt es deutschlandweit und über 500 Hebammen, die auch eine Hausgeburt in den eigenen vier Wänden begleiten“, sagt Jahn-Zöhrens. Sie war selbst über 30 Jahre als Hebamme tätig, bevor sie ins Präsidium des Deutschen Hebammenverbandes gewählt wurde.
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