Es juckt. Und juckt. Dieses Gefühl kann einen ganz verrückt machen, das hat beinah jeder schon erlebt. Doch Mückenstiche heilen irgendwann, und einen kratzigen Pullover kann man einfach ausziehen. Bei vielen Menschen jedoch verschwindet der peinigende Juckreiz gar nicht mehr. Bei manchen sind es ganz bestimmte Hautstellen, die sie immer wieder plagen. Bei anderen breitet sich der Juckreiz aus oder tritt an immer anderen Stellen des Körpers auf.
Pruritus, wie die Empfindung medizinisch heißt, wird häufig unterschätzt. Dabei ist ständiges Jucken eines der am meisten belastenden Symptome. „Es beeinflusst die Lebensqualität erheblich“, sagt Professor Sonja Ständer, Leiterin des Kompetenzzentrums Pruritus an der Universitätshautklinik Münster. Chronischer Juckreiz stört den Schlaf, belastet das Berufsleben und die Partnerschaft, kann Depressionen begünstigen.
Wer unter Pruritus leidet, bekommt ständig zu hören: „Kratz doch nicht.“ Aber gerade das ist kaum möglich. Das Jucken wird über die Nerven des Rückenmarks zum Gehirn transportiert, wo das unmittelbare Verlangen zu kratzen, zu reiben, zu scheuern ausgelöst wird. Die angegriffene oder sogar blutig gekratzte Haut kann sich entzünden und juckt dann noch viel stärker – ein Teufelskreis.
Viel mehr Menschen, als man denkt, sind von dieser Pein betroffen: Im Rahmen einer deutschlandweiten Beobachtungsstudie wurden mehr als 11.700 Menschen zwischen 16 und 70 Jahren befragt. Immerhin 17 Prozent klagten über quälenden Juckreiz, über die Hälfte der Betroffenen plagte das Jucken schon über ein Jahr. Die allermeisten von ihnen (94 Prozent) führten jedoch keine Therapie dagegen durch, und fast die Hälfte hatte noch nie deswegen ärztliche Hilfe gesucht.
Der Körper schlägt Alarm
Doch Pruritus kann ein Warnsignal des Körpers sein. Nach sechs Wochen ständigen Juckens sollte man die Ursache abklären lassen, empfehlen Ärzte. Andernfalls kann das Gehirn ein Juckreizgedächtnis entwickeln, ähnlich dem Schmerzgedächtnis, dann verselbstständigt sich die unangenehme Empfindung.

Cremen lindet: Feuchtigkeitsbinder, Menthol, und Antihistaminika helfen gegen Juckreiz © Kaja Paradiek
„Wenn es schon jahrelang ohne sichtbaren Grund juckt, ist es schwer, noch die Ursache dafür zu finden“, sagt die Dermatologin Sonja Ständer. „Es ist dann wie bei einem Teich, in den ein Stein gefallen ist: Man sieht die Wellen noch, aber vom Stein gibt es keine Spur mehr.“ Viele Menschen scheuen sich jedoch davor, zu Arzt oder Ärztin zu gehen und das Thema in der Sprechstunde von sich aus anzusprechen. „Sie schämen sich, weil sie Jucken mit mangelnder Hygiene verbinden. Oder sie befürchten, dass sie ein psychisches Problem haben könnten. Es ist dann oft eine Erleichterung für die Patienten, wenn sie hören, dass fast immer etwas anderes dahintersteckt.“
Die Ursache ist körperlich
Die einfachste Erklärung für ein Dauerjucken ist eine sehr trockene Haut. Vor allem bei etwas älteren Menschen braucht sie genügend fett- und feuchtigkeitsreiche Pflege mit Feuchtigkeitsbindern wie Urea (Harnstoff), Hyaluronsäure oder Glyzerin. „Viele Patienten hatten nie Probleme und bemerken gar nicht, dass die Haut mit der Zeit andere Bedürfnisse bekommt“, sagt Sonja Ständer. Bei großer Trockenheit können Geduld und konsequentes Cremen nötig sein, bis die Haut wieder geschmeidig wird und der Juckreiz nachlässt.
Meistens weist anhaltendes Jucken aber auf eine Krankheit, einen Mangel, eine Allergie hin. Neurodermitis oder Schuppenflechte (Psoriasis) wird häufig von Juckreiz begleitet. Manchmal tritt das Jucken aber nicht gleichzeitig mit dem Ausschlag auf, oder es geht einer Erkrankung voraus, bevor sie sichtbar ausbricht. Wenn die Ursache des Pruritus nicht zu erkennen ist, können die Patienten in spezialisierten Zentren wie etwa dem in Münster für ein paar Tage aufgenommen und gründlich durchgecheckt werden. Gesucht wird nach Nieren- und Lebererkrankungen sowie nach Diabetes. Selbst Krebs, Bluterkrankungen, multiple Sklerose und Depressionen können mit dem Juckreiz zusammenhängen, genau wie bestimmte Medikamente (etwa gegen Schmerzen oder Bluthochdruck). Auch ein Mangel an Nährstoffen wie Vitamin D oder eine Nahrungsmittelunverträglichkeit, zum Beispiel von Milchzucker (Laktose) oder dem Süßstoff Sorbit, kann hinter dem peinigendem Symptom stecken.
Besser nicht heiß baden
Wenn der Auslöser tatsächlich gefunden ist, hilft es, ihn konsequent wegzulassen (wie etwa Sorbit) bzw. zu behandeln (wie einen Diabetes). Aber oft genügt das nicht, wenn es erst mal juckt. Wichtig für alle Menschen mit Pruritus ist darum die Behandlung der Haut. Cremes und Salben mit Menthol oder einem Antihistaminikum können den Juckreiz lindern. Ebenso der Verzicht auf Alkohol, heiße Getränke und Bäder sowie scharfes Essen. Da Stress die lästige Empfindung verschlimmern kann, werden auch Entspannungsmethoden empfohlen. Darüber hinaus kommen Antidepressiva zum Einsatz, die dazu führen, dass das Jucken weniger stark wahrgenommen wird. Neue Therapien sollen dafür sorgen, dass der Juckreiz von Nervenzellen nicht mehr weitergeleitet wird. Die Behandlung des chronischen Pruritus kann langwierig sein und viel Geduld erfordern. Doch es gibt gute Chancen, das Leiden zu lindern. Eine Studie der Universität Münster zeigte: Immerhin die Hälfte der Patienten bescheinigte nach der Therapie einen deutlichen Rückgang des Juckens und eine mittlere bis sehr deutliche Verbesserung der Lebensqualität.
Bildquelle Beitragsbild © Kaja Paradiek
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