S.G.: Frau Dr. Geiß, ab wann sollten Paare eine Kinderwunschklinik aufsuchen?
Dr. Dagmar Geiß: Wenn das Alter der Frau unter 35 Jahren liegt und innerhalb eines Jahres bei regelmäßigem, ungeschütztem Geschlechtsverkehr keine Schwangerschaft eingetreten ist, sollte sich das Paar untersuchen lassen. Ist die Frau älter als 35 oder bei bekannten Vorerkrankungen beider Partner, die es erschweren, schwanger zu werden, sollte sich ein Paar entweder gleich oder spätestens nach sechs Monaten an eine Kinderwunschklinik wenden. Die gute Nachricht ist: Bei einem regelmäßigen Zyklus und regelmäßigem, ungeschütztem Verkehr werden in der Regel bis zu 85 Prozent der Paare unter 35 Jahren innerhalb dieses Zeitraums spontan schwanger.
Wie gehen Sie vor, wenn ein Paar zu Ihnen in die Sprechstunde kommt?
Dr. Geiß: Zunächst wird in einem Gespräch ausführlich auf die Vorgeschichte des Paares sowie die Dauer des Kinderwunsches eingegangen. Allein das sagt schon viel darüber aus, wie hoch die Chancen sind, dass bei dem Paar eine Schwangerschaft spontan eintreten kann. Dann folgt eine umfassende Diagnostik.
Es geht darum, medizinische Befunde zu sammeln, damit ich weiß, in welche Richtung ich das Paar beraten kann. Wichtig ist auch der Schutz gegen eine Röteln- und Windpockeninfektion in der Schwangerschaft. Daher ist es ratsam, bei Kinderwunsch den Impfstatus überprüfen zu lassen. Auch die Impfung gegen Keuchhusten sollte aktuell sein.
Was gehört zu einer Diagnose alles dazu?
Dr. Geiß: Zu den Basisuntersuchungen bei der Frau gehört u. a. die Zyklusanamnese inklusive einer Ultraschalluntersuchung der Gebärmutter und Eierstöcke. Dabei kann man z. B. Polypen oder Myome sowie andere anatomische Auffälligkeiten der wichtigen Organe erkennen. Außerdem wird der Aufbau der Gebärmutterschleimhaut genau angeschaut. Viele Frauen leiden zudem unter der Krankheit Endometriose, ohne es zu wissen. Dadurch kann es generell etwas schwieriger sein, schwanger zu werden. Als Nächstes folgt eine hormonelle Zyklusabklärung. Dabei werden alle Hormone untersucht, die für die Beurteilung des Zyklusgeschehens und die Einnistung eines Embryos wichtig sind einschließlich der Schilddrüsenfunktion.
Welche Untersuchungen sind für den Mann wichtig?
Dr. Geiß: Ein Spermiogramm gibt Aufschluss über die Zeugungsfähigkeit und liefert wichtige Hinweise zur Abschätzung der Fruchtbarkeit.
Im Labor wird ausgezählt, wie viele Spermien im Ejakulat sind, wie
schnell sie sich bewegen und wie viel Prozent der Spermien normal geformt sind. Hierfür hat die WHO Kriterien festgelegt. Erst wenn alle Befunde vorliegen, kann ich sagen, ob weitere Untersuchungen nötig sind oder schon eine Therapie empfohlen werden kann. Die Behandlung muss immer zum Paar passen. Es gibt nicht die eine richtige Methode.
Muss das Paar all die Tests selbst bezahlen?
Dr. Geiß: Nein, alle Diagnoseuntersuchungen werden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Die Therapien hingegen müssen selbst bezahlt werden, sofern das Paar nicht verheiratet ist. Jedes Bundesland bietet aber zusätzliche Fördermöglichkeiten für Kinderwunschbehandlungen. Ich rate Paaren, sich beim zuständigen Gesundheits- oder Landesamt darüber zu informieren – die wenigsten wissen, dass es das gibt.
Wie kann sich das Paar auf eine Schwangerschaft vorbereiten?
Dr. Geiß: Empfehlenswert ist ein gesunder Lebensstil mit genügend Bewegung und einer ausgewogenen Ernährung. Vorteilhaft ist zudem der vollständige Verzicht auf Nikotin. Studien zeigen, dass Rauchen die Fruchtbarkeit von Frau und Mann einschränkt. Und selbst bei künstlichen Befruchtungen sind die Chancen auf eine Schwangerschaft bei Raucherinnen und Rauchern vermindert.
Wie kann man die Chance auf Fruchtbarkeit noch erhöhen?
Dr. Geiß: Weniger Weißmehl- sowie zuckerhaltige Produkte, dafür reichlich Gemüse und Sport, haben einen nachweislich positiven Einfluss auf die Spermienqualität. Bei der Frau haben Unter- oder Übergewicht Einfluss auf den Zyklus. Ein BMI (Body-Mass-Index) unter 18 ist ungünstig, Blutungen können ausbleiben.
In dem Fall ist es ratsam, ggf. weniger Sport zu treiben und mehr zu essen. Auch Übergewicht kann dazu führen, dass Zyklen ausbleiben. Ein BMI über 30 sollte daher vermieden werden. Viel muss die Frau aber nicht abnehmen. Bei einer Gewichtsreduktion von fünf bis zehn Prozent können Eisprünge und damit ein Zyklusgeschehen mit Chance auf eine Schwangerschaft wieder stattfinden. Wichtig ist die Einnahme von Folsäure – am besten schon vier Wochen vor der geplanten Empfängnis. Die Folsäure trägt nicht dazu bei, schneller schwanger zu werden – das ist ein häufiges Missverständnis. Sie reduziert aber das Auftreten von Fehlbildungen bei Babys, daher ist sie sehr wichtig. Auch ein stabiler Vitamin-D-Haushalt erhöht die Chancen. Jod ist eher in der Schwangerschaft wichtig.
Dr. Dagmar Geiß
Dr. Dagmar Geiß hat viele Jahre als Gynäkologin gearbeitet, bevor sie sich vor zehn Jahren auf gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin spezialisierte. Sie ist in der VivaNeo Klinik in Berlin tätig. Mehr Infos unter: www.vivaneo-ivf.com
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