Faktencheck: Die Wahrheit über Kortison

Die Wirkung ist der Knaller, die Nebenwirkungen auch. Was ist dran an den Mythen, die sich um Kortison ranken?

Faktencheck: Die Wahrheit über Kortison

© Deborah Massing

Wenn man im Beipackzettel eines Kortisonpräparates die möglichen Nebenwirkungen liest, erschrickt man: Infektionen, Osteoporose, erhöhter Augeninnendruck, dazu Gewichtszunahme und Mondgesicht, um nur einige zu nennen: Das körpereigene Hormon, das vor allem als Entzündungshemmer zum Einsatz kommt, wirkt vielfältig, darum ist die Liste so lang. Aber manchmal ist Kortison dennoch die beste Wahl. Und längst nicht alle Sorgen sind berechtigt. Hier die häufigsten Bedenken und Überzeugungen.

1. Kortison ist gefährlich und deshalb immer verschreibungspflichtig

Stimmt nicht. Für ein antiallergisches Nasenspray mit dem Wirkstoff Beclomethason oder eine niedrig dosierte Hydrocortison-Salbe gegen Juckreiz braucht man heute kein Rezept mehr. Aber man muss bei Kortison (streng genommen: Kortikoiden; es handelt sich dabei um eine ganze Gruppe von Wirkstoffen, die sich vom Hormon Cortisol ableiten) ganz klar unterscheiden zwischen lokaler Anwendung und der sogenannten systemischen Gabe etwa per Tablette oder Spritze. Nur bei Ersterer gibt es Ausnahmen von der Verschreibungspflicht. Dazu ist festgelegt, dass diese Mittel lediglich über einen kurzen Zeitraum und je nach Präparat erst ab einem Alter von sechs bzw. zwölf Jahren angewendet werden sollen.

2. Sobald man Kortison absetzt, sind die Beschwerden wieder da

Vor einem Rückschlag, medizinisch auch Rebound genannt, haben vor allem Patienten Angst, die Kortison als Tablette oder per Spritze bekommen. „Häufig gibt es auch die Sorge, dass die Symptome anschließend sogar schlimmer sind. Doch das ist Quatsch und passiert nur, wenn man das Arzneimittel abrupt absetzt und es nicht ausschleichen lässt“, sagt Internist und Chefarzt Prof. Dr. Stefan Ulrich Christl vom Asklepios Klinikum Hamburg-Harburg und erläutert weiter: „Es gibt sogar Krankheiten, die extrem gut auf Kortikoide ansprechen und durch die Gabe ausheilen. Wie etwa Polymyalgia rheumatica, umgangssprachlich auch Weichteilrheuma genannt.“

3. Von Kortison nimmt man stark zu und bekommt ein Mondgesicht

Nicht zwingend. Lokal angewendet, wirken Kortikoide genau und nur dort, wo sie zum Einsatz kommen. Wer also Salbe, Nasenspray oder Augentropfen nimmt, muss keine Angst vor Gewichtszunahme oder Osteoporose haben; und auch per Asthmaspray kommt nur wenig Wirkstoff im Blut an. Aber selbst Tabletten oder Spritzen müssen nicht unbedingt Probleme machen. „Als Kortikoide und ihre enorme Wirkung auf Erkrankungen wie Rheuma, Allergien, multiple Sklerose oder etwa Neurodermitis entdeckt wurden, galt das Prinzip ‚Viel hilft viel‘ – mit den bekannten Nebenwirkungen wie dem Mondgesicht oder der Pergamenthaut“, so Experte Christl. „Heute ist man vorsichtiger und handelt nach der Vorgabe ‚So wenig wie möglich, so viel wie nötig‘.“ Bleibt man unter 7,5 Milligramm pro Tag, der sogenannten Cushing- Schwelle, treten diese Beschwerden in der Regel nicht auf. „Zudem werden Patienten umfassender aufgeklärt, etwa dass Kortikoide appetitanregend wirken und die Fetteinlagerung im Körper begünstigen“, so der Experte. „Wer das weiß, kann bewusst gegensteuern. Abgesehen davon verschwinden die meisten Symptome nach dem Absetzen wieder.“

4. Es gibt sanfte Alternativen zu Kortison

Kalte Dusche statt Kortikoid? In Gesundheitsforen findet man diesen Tipp immer wieder. Da die Nebennierenrinde bei Stress Kortison produziert, soll der Kälteschock zu einer erhöhten Ausschüttung und den positiven Effekten führen – nur eben ohne Nebenwirkungen. „Das kann man vergessen“, sagt Christl. „Die Wirkstärke der Präparate kann man so nicht erreichen.“ Richtig ist aber, dass es u.U. andere Substanzklassen gibt, die sinnvolle Alternativen zu Kortison sind. Christl erklärt: „Bei Heuschnupfen oder einem Insektenstich zum Beispiel können etwa Antihistaminika einen guten Job machen.“

5. Kortison darf man immer nur kurzzeitig nehmen

Stimmt nur mit Einschränkung. „Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, einem Menschen zu helfen, dann werden Nebenwirkungen zu Nebensächlichkeiten“, erklärt der Internist. „Kortikoide geben Schwerkranken Lebensqualität zurück. Patienten mit einer Autoimmun-Hepatitis sind zum Beispiel eher bereit, Kortikoide zu nehmen, als sich eine Spenderleber transplantieren zu lassen.“ Je länger man mit Tabletten oder Spritzen behandelt, desto wichtiger ist es natürlich, die Dosis so niedrig wie möglich zu halten, um den Einfluss in den körpereigenen Hormonhaushalt gering zu halten. Sonst steigt das Risiko, dass der Körper die Kortison-Produktion komplett einstellt.

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