S.G.: Herr Prof. Schlomm, Frauen gehen jährlich zur gynäkologischen Vorsorge – das ist ganz normal. Männer jedoch scheuen den Urologen. Warum ist das so?
Prof. Thorsten Schlomm: Wenn es um die Gesundheit geht, sind Männer tatsächlich wehleidiger als Frauen. Und sie haben Ängste, vor allem Versagensängste, über die aber nicht gesprochen wird. Die meisten meiner Patienten sind 60plus.
In den meisten Köpfen herrscht noch das alte Männerbild: Ein Mann wird nicht krank, denn wenn er krank wird, verliert er die Kontrolle – und wenn er beim Arzt ist, verliert er völlig die Kontrolle.
Es ist vermutlich auch die Vorstellung von der rektalen Tastuntersuchung der Prostata, die abschreckt …
Prof. Schlomm: Viele denken, dass ein Urologe nur für die Prostata zuständig ist. Das stimmt aber nicht. Ein Urologe ist quasi der Männerarzt. Viele Symptome, die wir in der Urologie sehen, haben einen internistischen Hintergrund. Erektile Dysfunktion zum Beispiel ist häufig ein erstes Anzeichen für kardiovaskuläre Erkrankungen. Verkalkung in den Gefäßen tritt zuerst in den feinsten Gefäßen auf – und das sind beim Mann die Gefäße im Schwellkörper. Es gibt ein schönes Zitat: ‚Der Penis ist die Antenne des Herzens.‘
Erektionsprobleme können also ein erstes Warnzeichen für einen bevorstehenden Herzinfarkt sein?
Prof. Schlomm: Genau. Ursache kann aber auch eine Hormonstörung sein. Je früher Erektionsprobleme auftreten, desto wichtiger ist es, die Beschwerden urologisch abklären zu lassen. Die Patienten, die wir in der Klinik wegen Prostatakrebs operieren, füllen zuvor einen Fragebogen aus, der auch die Potenz abfragt. Hierdurch wissen wir, dass viele Männer auch Erektionsprobleme haben – und das schon oft seit mehreren Jahren. Aber sie unternehmen nichts dagegen.
Warum nicht?
Prof. Schlomm: Das Kuriose ist, dass vielen Männern ab 60 eine erfüllte und lebendige Sexualität in der aktuellen Lebenssituation scheinbar nicht mehr wichtig ist. Viele meiner Patienten, die ich über die erektile Dysfunktion als mögliche Nebenwirkung einer Prostata-OP aufkläre, sagen mir dann: ,Ach, das ist eh schon vorbei.‘ Das wird als normale Begleiterscheinung des Alters abgetan und akzeptiert. Viele kommen erst deswegen zu mir, wenn sie in einer neuen Partnerschaft sind und sexuell wieder aktiver sein wollen.
Ab wann und wie oft sollte der Mann zum Männerarzt
Prof. Schlomm: Jeder Mann ab 45 Jahren sollte regelmäßig zum Urologen. Wenn Prostata-, Brust- oder Eierstockkrebs in der Familie vorkommen, sogar früher. Jeder dritte männliche Tumor ist urologisch, betrifft also Prostata, Niere oder Blase. Alle diese drei Tumore kann man heutzutage größtenteils heilen, wenn man sie nur früh genug entdeckt. Und das ist das Problem, wenn man nicht zur Vorsorge geht.
Jeder Mann fährt sofort von der Autobahn ab und steuert eine Werkstatt an, wenn ein Lämpchen aufleuchtet. Er handelt schnell, weil er weiß: Ist das Problem noch im Anfangsstadium, kann ich es leichter beheben, als wenn mir später der Motor um die Ohren fliegt. Jeder Mann sollte sich selbst genauso gut behandeln wie sein Auto und zur ,Inspektion‘ gehen.
Jeder Mann sollte auch seinen PSA-Wert kennen. Das heißt aber nicht, das man den Wert jedes Jahr neu messen muss. Ähnlich wie bei der Darmkrebsvorsorge kann es ausreichen, den PSA-Wert in größeren Abständen bestimmen zu lassen, wenn er niedrig ist. Wichtig: Bitte den PSA-Wert beim Urologen bestimmen lassen, denn nur die richtige Interpretation des Wertes macht ihn auch sinnvoll.
Stichwort Prostatavergrößerung. Ab wann wird das gefährlich?
Prof. Schlomm: Ab dem 40. Lebensalter vergrößert sich die Prostata stetig. Mediziner sprechen dann von einer gutartigen Prostatavergrößerung. Das Wachstum ist per se nicht gefährlich. Es gehört zum normalen Alterungsprozess dazu. Die Vergrößerung verursacht jedoch eine Verengung der Harnröhre und der Urin kommt nur noch tröpfchenweise raus. Spätestens wenn sich die Blase nicht mehr richtig leert, muss der Mann zum Arzt, sonst kann es sogar zu Schäden an den Nieren kommen.
Kann eine Vergrößerung rückgängig gemacht werden?
Prof. Schlomm: Ja, im Frühstadium einer Vergrößerung kann man das mit einer Tablette pro Tag zurückdrehen – das Prinzip ist ähnlich wie bei Blutdrucktabletten, die aber nicht in den Gefäßen, sondern in der glatten Muskulatur der Prostata wirken. Auch die Einnahme von Kürbisextrakten kann helfen, aber nur in einem frühen Stadium. Wenn man zu lange wartet und erst zum Arzt geht, wenn man nicht mehr richtig urinieren kann, hilft oft nur noch eine Operation.
Prof. Thorsten Schlomm ist Chefurologe an der Berliner Charité. Seit mehr als 15 Jahren operiert er Patienten mit Prostatakrebs (Karzinom). Zudem veröffentlicht er wissenschaftliche Publikationen, Buchbeiträge und Forschungspreise auf dem Gebiet des Prostatakarzinoms. Er ist Mitglied der Deutschen, Europäischen und Amerikanischen Gesellschaft für Urologie sowie der American Association for Cancer Research (AACR).
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