Wie kann die Osteopathie bei psychischen Problemen helfen, Nicola Wanninger?

Ein trauriger Mensch lässt die Schultern fallen oder zieht sie hoch - und das kann zu Verspannungen führen. Vielleicht hilft Osteopathie.

Wie kann die Osteopathie bei psychischen Problemen helfen, Nicola Wanninger?

Die Osteopathie kann Spannungen im Körper aufspüren. ©iStock/karelnoppe

Frau Wanninger, Sie arbeiten als Osteopathin und ertasten mit Ihren Händen Verspannungen im Körper. Um welche Verspannungen geht es und wodurch werden sie ausgelöst?

Es handelt sich um Spannungen und Bewegungseinschränkungen auf körperlicher Ebene. Da können zum einen Faszien, Muskeln, Knochen wie auch das Nervensystem oder die Organe betroffen sein. Auslöser sind beispielsweise mechanische Belastungen wie langes Sitzen am Computer oder eine Verletzung wie ein Umknicktrauma mit dem Sprunggelenk.

Können auch psychische Probleme zu Verspannungen führen?

Viele meiner Patientinnen und Patienten suchen mich aufgrund körperlicher Symptome auf. Manchmal stellt sich dann im Laufe der Behandlung heraus, dass die Psyche für einen Teil der Beschwerden mit verantwortlich ist. Das können andauernde Konflikte, Stress und Überlastungen im Job wie auch in der Partnerschaft sein, oder der Verlust eines Menschen. Solche Herausforderungen können auf Dauer zu muskulären Verspannung und zu Spannungszuständen im Nervensystem führen. Das passiert meistens dann, wenn die dazugehörige Emotion unbewusst bleibt. Bei einer Überlastung ist es so, dass oft sehr lange der Schmerz als Warnsignal fehlt.

Können Sie mir ein Beispiel für eine stressbedingte Verspannung geben?

Viele meiner Patientinnen und Patienten haben ein Start-up-Unternehmen gegründet oder sind selbständig. Das beinhaltet meist 12-Stunden-Tage, enormen Leistungsdruck, wenig Schlaf und manchmal zusätzlich noch Familie. Durch die tägliche große Herausforderung können sich auf Dauer Stress-Symptome wie beispielsweise Verspannungen an der Wirbelsäule einstellen.

Wenn psychische Probleme im Vordergrund stehen, ist es dann sinnvoll, Osteopathie und Psychotherapie miteinander zu verbinden?

Oftmals ja, auch um chronischen Erkrankungen vorzubeugen. In diesen Fällen empfehle ich meine Patienten an eine Psychologin weiter. Um die psychologischen Zusammenhänge besser nachvollziehen zu können, nehme ich dort Supervision. Dieses Wissen lasse ich dann wiederum in meine Arbeit mit den Händen einfließen. Nach meiner Erfahrung ist die Kombination der psychologischen und osteopathischen Behandlung für meine Patienten am wirkungsvollsten und nachhaltigsten.

Wie spüren Sie die Ursache der Verspannung auf?

Zum einen führe ich ein Vorgespräch, in dem ich mich nach aktuellen Beschwerden und der momentane Lebenssituation erkundige. Auch zurückliegende Verletzungen oder Operationen können eine Rolle in der Behandlung spielen. Dazu sind Befunde aus früheren medizinischen Untersuchungen und besonders aktuelle für die Behandlung hilfreich.
Zum anderen untersuche ich den Patienten im Stehen und im Liegen, um muskuläre und fasziale Spannungen wahrzunehmen. Die führen in aller Regel zum Ort der Ursache.

Und der ist nicht immer dort, wo die Schmerzen sind?

Genau. Wenn ein Patient beispielsweise an Schmerzen im unteren Rücken leidet und in der Vergangenheit einmal mit dem Sprunggelenk umgeknickt ist, könnte daraus eine Folgekette nach oben stattgefunden haben. Das heißt konkret: Durch eine Blockierung des Sprunggelenkes können muskuläre Züge das Wadenbein blockieren und wiederum muskuläre Züge dann das Becken und die Wirbelsäule in eine Fehlhaltung bringen. Auf Dauer, wenn der Körper seine Kompensationsmechanismen ausgeschöpft hat, können Schmerzen in der Lendenwirbelsäule entstehen. In diesem Falle würde ich die Behandlung am Fuß beginnen.

Wie lange dauert es ungefähr, bis Sie Beschwerden auflösen können?

Akute Beschwerden lassen sich manchmal innerhalb von drei Sitzungen beheben. Besteht eine Symptomatik bereits über Jahre hinweg, stimme ich jede neue Therapiesitzung individuell auf die Symptome des Patienten ab. Der genaue Verlauf der Behandlung ist dann vom Einzelfall abhängig. Ich finde es sinnvoll, die Patienten über einen längeren Zeitraum in größeren Abständen zu begleiten, um das erreichte Gleichgewicht zu erhalten. Es geht mir vor allem um das Wahrnehmen und Bewusstmachen des Allgemeinempfindens, der eigenen Lebensweise und der Einstellung sich selbst gegenüber. Das braucht Zeit.

Können die Patienten den Heilungsprozess selbst vorantreiben?

Die Osteopathie ist eine passive Behandlungsmethode, bei der der Körper nach den Sitzungen nachwirkt und -arbeitet. Der Eigenanteil der Patienten ist, sich den Alltag bewusst anzusehen. Wie sitze ich am Computer? Entstehen durch immer gleiche Positionen Verspannungen? Mache ich genug Pausen? Nehme ich mir Zeit zum Essen und langsam zu kauen? Wie kann ich einen komplett durchgetakteten Tag unterbrechen, um mir einen Moment der Ruhe zu gönnen?
Ergänzend zur Osteopathie biete ich eine Ernährungsberatung an. Wenn beispielsweise ein Patient mit Verdauungsproblemen kommt, bin ich manchmal in der Wirkung meiner Behandlung limitiert. Das könnte daran liegen, dass der Patient täglich Nahrungsmittel zu sich nimmt, die für seinen Darm unzuträglich sind. In der Ernährungsberatung richte ich mich nach der Blutgruppe und kann mit Hilfe einer Laboranalyse ganz individuell auf den jeweiligen Klienten eingehen. Somit hat der Patient mit dem Wissen, welche Lebensmittel er gut verträgt, selber großen Einfluss auf seine Verdauung und seinen Stoffwechsel.

Gibt es Situationen, in denen Ruhe ganz besonders wichtig ist?

Grundsätzlich sollte sich jeder am Tag eine kurze Auszeit von mindestens 15 Minuten nehmen, innehalten und einfach mal NICHTS tun. Ruhe ist aber auch beispielsweise nach einer Operation notwendig, denn ein Eingriff bewirkt immer eine Art Schock im Körper. Diesen Zustand nehme ich als Osteopathin mit den Händen wahr.

Wie das?

Um das besser zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass der Körper ungefähr zu 80 Prozent aus Flüssigkeit besteht, die pulsierend immer in Bewegung ist. Bei Menschen, die einen Schock erfahren haben, spüre ich diese Bewegung nur ganz zart – das Pulsieren ist wie angehalten. Deshalb rate ich, auch nur nach kleineren Eingriffen in den Körper sich nachfolgend Zeit für die Regeneration zu nehmen.

Hetzen wir aus Ihrer Sicht als Osteopathin zu stark durchs Leben?

Ich erlebe durchaus, dass sich die meisten Menschen zu viele Termine setzen, alles auf Effizienz ausrichten und über ihre eigenen Bedürfnisse hinweg gehen. Der Körper zeigt einem oft deutlich, wenn er Ruhe braucht. Er sendet in Form von Verspannungen oder Schmerzen Signale aus, das ist seine Sprache. Überhört man diese Signale über Jahre hinweg, kann es durch die permanente Überlastung zu ernsthaften Erkrankungen kommen. Deshalb ist es wirklich wichtig, die körperlichen Zeichen wahrzunehmen, ernst zu nehmen und Momente des NICHTS Tun in den Alltag bewusst einzubauen. Denn so gelingt es besser, die Gesundheit zu erhalten.

Zur Person

Nicola Wanninger

Nicola Wanninger entdeckte die Osteopathie, als sie im physiotherapeutischen Bereich an die Grenzen der Wirksamkeit kam. Die Osteopathie war wie eine Offenbarung für sie. „Schnell erkannte ich in meinem 5-jährigen Studium, dass magisches möglich ist, da die Osteopathie in der Tiefe arbeitet und wirkt.“ Heute betreibt Nicola Wanninger eine Praxis in Berlin-Mitte.

Info:
Aus rein rechtlichen Gründen weisen wir auf die Umstrittenheit der Osteopathie und die fehlende Studienlage für die Mehrzahl der Anwendungsbeispiele hin.

KOMMENTARE

WORDPRESS: 0
DISQUS: 0