Herr von Sternberg, wie kommt es zu einer Parodontitis?
Die Patientinnen und Patienten beherbergen meist mehrere Krankheitserreger im Mund, von denen sie nichts wissen: Treponema pallidum zum Beispiel, ein schraubenförmiges Bakterium. Oder das kugelige Actinobacillus actinomycetemcomitans. Durch den Stoffwechsel dieser Bakterien entstehen Giftstoffe, die in das Zahnfleisch gelangen und dort Entzündungen verursachen. Auf lange Sicht sorgen die Bakterien dafür, dass sich die Fasern des Zahnfleischs von der Wurzel lösen. Der Zahn hat dann keinen Halt mehr und fällt aus.
Wie viele Menschen leiden unter Parodontitis?
Wenn man ehrlich ist, fast jeder. Zumindest ab einem bestimmten Alter. Ab 35 Jahren sollen 75 Prozent der Bevölkerung darunter leiden. Das Tückische ist, dass eine Parodontitis fast immer zu spät diagnostiziert wird. Nämlich dann, wenn sich bereits Zähne gelockert haben.
Wie stellen Sie eine Parodontits fest?
Mit einer Sonde, auf der Markierungen von 0,5 bis 11,5 Millimeter eingraviert sind. Mit diesem langen, silbernen Stab messe ich die Tiefe der Zahnfleischtaschen. Normalerweise beträgt sie um drei Millimeter. Kann ich tiefer eintauchen, liegt eine behandlungsbedürftige Parodontitis vor. Bei vier bis fünf Millimetern wird es problematisch, bei mehr als fünf Millimetern muss schnell behandelt werden. Die Wurzel ist insgesamt 14 Millimeter lang. Ab sieben bis acht Millimeter tiefen Taschen beginnt der Zahn zu wackeln. Unternimmt man nichts, fällt er früher oder später aus.
Wie sieht eine Behandlung aus?
Ich schabe mit einem scharfen Instrument die Ablagerungen ab, die sich am Zahn und seiner Wurzel gebildet haben. Der Vorgang erinnert an das Entfernen von Zahnstein, findet nur tiefer statt. Damit es nicht weh tut, ist das Zahnfleisch betäubt.
Ist die Parodontitis danach geheilt?
Nein. Die Parodontitis lässt sich nicht rückgängig machen. Der Arzt kann das Fortschreiten des Knochenabbaus stoppen, welcher auf lange Sicht zum Zahnausfall führt. Danach muss der Patient ran und seine Zahngesundheit erhalten. Ganz wichtig ist, die Zahnzwischenräume zu reinigen.
Wie geht das am besten?
Mit diesen kleinen Bürstchen, deren Borstenanordnung an eine Flaschenhalsbürste erinnert. Das sind sogenannte Interdentalbürsten, die die Zahnzwischenräume säubern – viel besser übrigens, als eine Munddusche oder Zahnseide. Wenn die kleinen Lücken zwischen den Zähnen regelmäßig von Plaque befreit werden, können sich dort nicht so schnell Parodontitis-Bakterien ansiedeln. Bereits entzündetes Zahnfleisch erkennt man daran, dass es schnell blutet, zum Beispiel beim Putzen. In diesem Fall empfehle ich die Interdentalbürstchen vor dem Benutzen in ein Desinfektionsgel zu tauchen. Nach ungefähr drei Wochen kann man dann ohne Desinfektionsgel weitermachen.
Spielt die Zahnbürste eine Rolle?
Ja. Generell ist immer die elektrische Zahnbürste einer manuellen vorzuziehen. Weil der Mensch gar nicht in der Lage ist, so schnelle Bewegungen mit der Hand zu machen wie mit einer elektrischen. Außerdem ist es schonender. Denn mit der Handzahnbürste neigen viele zum groben Putzen. Damit reiben sie zwar die Zähne ab, aber am Übergang von Zahnfleisch zu Zahn bleiben die Ablagerungen bestehen. Die elektrische Zahnbürste legt man auf die Kauflächen und die Seiten, lässt sie rotieren, dann nimmt man sich den nächsten Zahn vor.
Wie lässt sich noch vorbeugen?
Relativ neu sind Lutschpastillen mit Bakterien vom Stamm Lactobacillus reuteri. Durch das Lutschen sollen sich diese natürlich im Speichel vorkommenden Bakterien in den Taschen einnisten und die schlechten Bakterien verdrängen. Dann gibt es Kaugummi mit Xylit, mit Birkenzucker. Durch das Kauen wird mehr Speichel produziert, der die Zähne umspült. Die schädlichen Bakterien können sich dadurch nicht so festsetzen, und die Regeneration von Schleimhaut und Zähnen wird gefördert. Xylit als kalorienarmer Zuckerersatzstoff verursacht von sich aus keinen Karies.
Interdentalbürste, elektrische Zahnbürste, Lutschpastillen und Kaugummi sind vier Maßnahmen, mit denen sich eine Parodontitis vorbeugen lässt.
Nicht nur das. Ich würde sagen, das ist eine Therapie, die der Betroffene selbst durchführen kann. Außerdem sollte man alle zwei Jahre beim Arzt die Ablagerungen erneut entfernen lassen. Aber das allein reicht nicht. 10 Prozent macht der Arzt bei einer Parodontitis, 90 Prozent der Patient.
Weitere Informationen:
Eine Parodontitisbehandlung muss durch Ihren Zahnarzt oder Ihre Zahnärztin bei der gesetzlichen Krankenkasse beantragt werden. In aller Regel werden die Kosten für die Behandlung übernommen. Nach zwei Jahren kann sie wiederholt werden. Vor und nach der Beantragung der Zahnfleischbehandlung sind meistens mehrere professionelle Zahnreinigungen erforderlich. Diese muss der Patient oder die Patientin meistens selbst zahlen.
Wer den Abschluss einer Zahnzusatzversicherung plant, sollte das vor einer Parodontitisbehandlung machen. Denn eine Parodontitis ist für viele Versicherungen ein Ausschlusskriterium.
Dr. Dr. Norman von Sternberg machte 2003 seinen Doktor in Medizin und 2007 den Doktor in Zahnmedizin an der Uni Hamburg. Seit 2007 ist er Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, sowie Fachzahnarzt für Oralchirurgie und Implantologie. Im Wartezimmer seiner Altbaupraxis im Hamburger Stadtteil St. Georg hängen nicht nur Zeugnisse und Zertifikate an der Wand, sondern auch Zeichnungen von Udo Lindenberg – mit persönlicher Widmung für Dr. Dr. von Sternberg.
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