Schwämme der Götterkinder, geboren durch Urzeugung, aus den schlechten Ausdünstungen der Erde: Pilze. So erklärte sich der Mensch lange Zeit das unerklärliche Phänomen ihrer Verbreitung. Bis er das Mikroskop erfand und die Sporen entdeckte, mit denen sich die ungeschlechtlichen Organismen vermehren.
Unsichtbar für das Auge sind unter ihnen viele, weil sie sich im Geflecht aus weißen Fäden unter der Erdoberfläche verbreiten. Als „Pilze“ bezeichnet der Mensch ihre kleinen Fruchtkörper, die oft über Nacht und nach regnerischen Tagen in der Sonne gen Himmel schießen. Unterirdisch breiten sie sich dagegen parallel auf Flächen aus so groß wie ein Fußballfeld. Im Biotop bilden sie dann die sogenannte Mykorrhiza, eine Lebensgemeinschaft, die sie mit umherstehenden Waldbäumen verbindet. In diesem „Wood Wide Web“ tauschen Bäume Nährstoffe und Nachrichten aus. Solche Netzwerke dienen ebenso der erfolgreichen Ernte auf dem Acker.
Robuster Charakter
Im Gegensatz zu Pflanzen gewinnen Pilze ihre Energie nicht aus Sonnenlicht, sondern benötigen wie Tiere organische Nährstoffe, die sie durch die Zellwände aufnehmen. Tote Bäume oder Exkremente zersetzen sie mit Hilfe von Eiweißen. Je nach Geschmack sitzt der Champignon auf Pferdemist, der Austernpilz auf Stroh und der Kerosinpilz macht es sich in Treibstofftanks von Schiffen und Flugzeugen gemütlich. Dank ihres unverwüstlichen Naturells siedeln Fungi zu Lande wie zu Wasser, in eiskalter Arktis wie trockenheißer Wüste, also selbst in äußerst lebensfeindlichen Habitaten der unterschiedlichsten Ökosysteme.
Win-Win – oder Win-Lose mit äußerst üblem Ende – lautet ihr Motto, wenn sie Symbiosen mit Pflanzen oder Tieren eingehen. Gewächse erhalten durch sie mehr Nährstoffe als allein durch die Wurzeln. Umgekehrt zapft der Pilz dafür Zucker als Energiequelle ab. Der Gras-Kernpilz bildet im Inneren von Gräsern Giftstoffe, die vor Fressfeinden schützen. Säugetiere, Insekten oder Schnecken vertilgen die Fruchtkörper und revanchieren sich, in dem sie die Sporen verteilen.
Aggressiv und schädlich sind dagegen parasitische Pilze, wenn sie im Wettrüsten zwischen Infektion und Resistenz über das Immunsystem der Pflanzen siegen. Rund 10.000 pilzliche Pflanzenkrankheiten soll es geben. An der Spitze der Nahrungskette hat dann der Mensch oft das Nachsehen, wenn Reisbräune, Apfelschorf, echter Mehltau oder Obstbaumkrebs ganze Ernten vernichten. So zerstörte Phytophthora infestans im Irland des Jahres 1842 die gesamte Kartoffelernte – eine Million Menschen starben und zwei Millionen wanderten aus.
Kleines Helferlein
Im Mensch hat der Pilz dennoch seinen Meister gefunden, weil der ihn erfolgreich domestiziert: Pharmakologen gewinnen Penicillin aus ihm. Seine Stoffwechselprodukte senken Cholesterin und helfen gegen Malaria. Als Bauteil fungiert er in Autoteilen oder Rotorblättern. Die amerikanische Marine nutzte den biolumineszenten Hallimasch als Lichtquelle in ihren ersten U-Booten. Und da Kühe mit dem Vielgeißelpilz das schwer verdauliche Gras verwerten, ist der Mensch in der Wald- und Milchwirtschaft, aber auch im Getreide- und Obstbau von den praktischen Dienstleistungen der Pilze abhängig.
Jeder, der einen Schluck Wein oder Bier trinkt und in ein frisches Brot mit Käse beißt, weiß die Wirkungsweise der Hefe- und Schimmelpilze zu schätzen. Vom Pilz als Nahrungsquelle – wie Champignon, Pfifferling oder Trüffel – mal ganz zu schweigen. Aber Vorsicht vor dem falschen Griff ins Unterholz und der tödlichen Wirkung der giftigen Variante. Dann schlägt der Pilz zurück. Genauso wie er es sich nicht nehmen lässt, gefährlich nahe in das Areal der menschlichen Behausung vorzudringen.
Seine typisch schwarze Farbe hinterlässt der Schimmelpilz Aspergillus niger bevorzugt auf Mauerwerk. Schimmelpilzsporen finden sich an feuchten Wohnungswänden, aber auch in der Biotonne. Wer sie einatmet, kann bei Dauerbelastung sogar an Lungenkrebs erkranken. Und wer glaubt, Spülmaschinen machen so richtig schön sauber, irrt sich gewaltig, sobald Pilze sie befallen. Die fühlen sich in den heißen Temperaturen mit hoher Feuchtigkeit und alkalischen pH-Werten pudelwohl.
Pilze: Mitten im kranken Gewebe
Aber warum Maschinen besiedeln, wenn Menschen greifbar sind? So wie er in der Natur gern auf saurem Boden gedeiht, bevorzugt der Pilz auch beim Homo sapiens das saure und kranke Gewebe als Spender für Nahrung. Er siedelt, wo unser Immunsystem schwach und Gewebe nicht ausreichend lebendig sind. Fast nichts ist vor ihm sicher: Beliebte Stellen sind die Haut, besonders Kopf, Füße, Hände sowie Nägel und Schleimhäute.
In der Haut nistet sich der Pilz zum Beispiel mit speziellen Strukturen an oder tarnt sich als körpereigene Zelle. Kohlenhydrate und wertvolles Kalzium findet er für sein Menü vor allem im Darm, wo er sich mit ganzen Nestern in den Darmzotten versteckt. Dem menschlichen Körper fehlen diese Nährstoffe jedoch in der Folge. Insgesamt rufen 50 verschiedene Pilzarten unterschiedliche Krankheiten hervor. So kann der Aspergillus in den Atemwegen zu Asthmaanfällen und blutigem Auswurf führen. Aktuell verlaufen Infektionen mit dem heimtückischen Candida-Pilz weltweit sogar tödlich.
Auf dem Trip ins Nirgendwo
Die Tore der Wahrnehmung öffnen Pilze ganz weit für die, die den Zauberpilz schlucken: Beliebt bei Hippies der 70er oder unter Technojüngern, die sie gern als „Psilos“ einnehmen. Abgeleitet aus den Inhaltsstoffen Psilocin und Psilocybin, denen forschende Mediziner gerade eine bahnbrechende Wirkung gegen Depression zuschreiben. Die Idee ist nicht neu: „Fleisch der Götter“ nannten die Urvölker Südamerikas ihre Zauberpilze schon 500 Jahre vor Christus. Priester der Azteken hatten mit ihnen den direkten Draht zum großen Schöpfer. Die „Magic Mushrooms“ waren Mittler zwischen den Menschen und der Welt des Übersinnlichen. Ähnlich wie beim Lysergsäurediethylamid, dem LSD, verschwimmen nach der Einnahme die Grenzen zwischen Realität und Phantasie. Im schlimmsten Fall geht’s auf den Horrortrip mit Paranoia – und nie wieder zurück.
Da tröstet, dass dieser Wandel zum Wahn sogar den disziplinierten Strebern von Mutter Natur passiert – den Ameisen. Im brasilianischen Urwald werden sie Opfer von Ophiocordyceps unilateralis. Als Meister der Manipulation befällt der Hefepilz das Gehirn der Holzameise. Fremdgesteuert folgt sie seinen Instruktionen. Plötzlich verlässt sie ihr sicheres Nest weit oben in den Bäumen und purzelt taumelnd gen feuchten Waldboden. Dort erklimmt sie eine kleine Pflanze und verbeißt sich in der Unterseite ihres Blattes. Erst dann tötet der Pilz den verrückten Sechsbeiner mit einem speziellen Cocktail aus Chemikalien.
Aber noch ist das Werk nicht vollbracht: In der leblosen Hülle wächst er nach einer Woche so weit, dass er mit einem Stiel aus ihrem toten Körper ragt. Dieser Fruchtkörper lässt Sporen fallen, die sich über einen Quadratmeter verteilen. Stapft die nächste Holzameise in den gefährlichen Minenteppich, ereilt sie das gleiche tödliche Schicksal. Auch sie verwandelt sich in einen willenlosen Zombie.
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