Frau Büche, bei Ihnen ist vor etlichen Jahren Schizophrenie diagnostiziert worden. Wie geht es Ihnen heute?
Mir geht es gut! Das Schlimmste an der Schizophrenie ist, dass man nicht weiß, dass man krank ist und dass man durch das Wahnerleben und die Halluzinationen völlig geängstigt ist.
Sie haben Stimmen gehört.
Ja. Ich war damals 27 Jahre alt, hatte gerade mein Cello-Studium in Köln abgeschlossen und wollte in einer anderen Stadt mit dem Master weitermachen. Alles war perfekt und gesettelt – und dann dreh ich durch! Es fing an mit wachtraumartigen Sequenzen, die ich nicht einordnen konnte, irgendwann hörte ich Stimmen. Zunächst eine Frauenstimme, die um Hilfe rief. Ich sprach mit einem Psychiater darüber, und er verordnete mir ein Schlafmittel. Geholfen hat das aber nicht. Die Stimme blieb, und es kamen weitere hinzu, sie wurden immer lauter, immer quälender. Kurze Zeit später habe ich versucht, mich umzubringen.
Um den Stimmen zu entfliehen?
Ja. Du musst dir vorstellen, dass es ist, als würde immer jemand in Dein Ohr sprechen und Dinge sagen wie: „Verletz dich“. „Du bist ein Monster, kein Mensch“. „Du musst Schmerzen haben“. So war es bei mir. Irgendwann war ich allein zu Hause, habe eine Woche lang nicht mehr geschlafen, nicht mehr gegessen, nicht mehr geduscht. Ich war so zermürbt von den ständigen Stimmen, dass ich von einer Brücke gesprungen bin. Es war nicht unbedingt so, dass ich sterben wollten, aber die Stimmen im Ohr haben einfach nicht aufgehört. Ich war getrieben von ihnen und wollte, dass der Spuk ein Ende hat.
Die Polizei hat Sie dann aufgegriffen und ins Krankenhaus gebracht.
Ja, ich wurde in die geschlossene Abteilung zwangseingewiesen und habe dort ein ganzes Jahr verbracht. Die Medikamente haben gegen die Stimmen geholfen.
Wie war es für Sie, die Diagnose Schizophrenie zu erhalten?
Einerseits war ich erleichtert, weil ich wusste, dass ich eine Krankheit habe, gegen die ich etwas machen kann. Ich musste also nicht in Qualen weiterleben. Auf der anderen Seite kam es mir vor, als sei mein bisheriges Leben zu Ende. Die Ärzte sagten zu mir: „Schon’ Dich und heirate am besten, damit Du versorgt bist.“ Das war ein Schock. Ich hatte zwei Lehraufträge an Hochschulen, die ich aus Scham darüber, ein „Psycho“ zu sein, aufgegeben habe. Anschließend habe ich soziale Arbeit studiert. In die Führungsetage in dem Bereich konnte ich mich aber nur hocharbeiten, weil ich meine Krankheit verschwiegen habe. Als Ergotherapeutin, systemische Beraterin und Sozialarbeiterin darf man nicht schizophren sein.
Wissen Sie, warum bei Ihnen die Schizophrenie ausgebrochen ist? Es werden für die Entstehung ja verschiedene Ursachen angenommen, darunter genetische Faktoren und Stress.
Bei mir kam einiges zusammen: Misshandlungen in der Kindheit. Dann ein ziemlich stressiges Studium plus eine vermutlich angeborene Grundempfindsamkeit. Ich hatte keinerlei Selbstvertrauen. Die Note eins in der Prüfung meines Cello-Studiums und die Tatsache, dass ich als Cellistin mit Leonard Bernstein auf Tour gewesen war, dem berühmten Dirigenten und Komponisten der „West Side Story“, bedeuteten für mich nicht, dass ich gut bin. Ich fühlte ich trotzdem ungenügend. Interessant war übrigens, dass sich bereits vor dem Ausbruch der Schizophrenie mein Cello-Spiel verändert hat. Ich war wie abgeschnitten von meinen Gefühlen, und weil ich meine Emotionen nicht mehr spüren konnte, konnte ich sie auch nicht in Musik freisetzen.
Zu den Symptomen der Schizophrenie gehört auch das Gefühl, dass andere die eigenen Gedanken lesen könnten. Haben Sie das auch erlebt?
Genau. Ich hatte das Gefühl, meine Gedanken wabern durch die ganze Stadt. Wenn ich selbst unterwegs war, dachte ich, alle können lesen, was für ein schlimmes Wesen ich bin. Weil es das war, was mir durch den Kopf gegangen ist und das war, was die Stimmen zu mir gesagt haben.
Nehmen Sie heute noch Medikamente?
Wenn ich zum Thema referiere, fragen mich Betroffene und Angehörige immer wieder, ob und wie man Medikamente absetzen kann. Ich sage dann immer: „Du musst gar nichts absetzen, sonst drehst du wieder durch“. Denn es gibt ein fast hundertprozentiges Rückfallrisiko. Ich selbst habe erstmals mit 45 versucht, auf die Medikamente zu verzichten. Es ist mir aber nicht gelungen, die Tabletten komplett wegzulassen. Heute nehme ich sie in absolut geringer Dosis, aber ich nehme sie.
Welche Rolle hat eine Psychotherapie gespielt?
Die Medikamente haben mir das Leben gerettet. Aber erst die Psychotherapie hat mich wieder zu einem glücklichen Menschen gemacht. Dorthin war es allerdings ein langer Weg. Anfangs, und das ist vermutlich typisch für viele Schizophrene, dachte ich, ich brauche keine Therapie. Das hat sich geändert, als ich nach Berlin gezogen bin und festgestellt habe, dass meine Freunde meinen Zustand nicht auffangen können. Ich hatte mich zu dem Zeitpunkt von meiner Freundin getrennt und das Studium abgebrochen, ich war also in einer sehr schwierigen Situation. Die Therapeutin, die ich dann aufgesucht habe, hat mich 14 Jahre lang begleitet.
Was für eine Therapie war das?
Eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Es ging aber auch um den Körper. Wenn man schizophren ist, spürt man sich als übergroßen Kopf und vergisst den eigenen Körper völlig – zumindest war es bei mir so. Hier hat mir die Körpertherapie geholfen. Außerdem EMDR, eine Behandlungsmethode für posttraumatische Belastungsstörungen.
Haben Sie Rückfälle?
Laut Schulmedizin ist Schizophrenie unheilbar – wobei ich meine Zweifel daran habe, dass das stimmt. Aber ich selbst habe keine Angst mehr vor einem Rückfall. Ich kann in Stresssituationen vielleicht nochmal ein wisperndes Stimmchen nah am Ohr hören. Aber es sagt dann nichts wichtiges. Und ich weiß, was zu tun ist. Ich muss gut schlafen, gut essen und vielleicht meine Medikamente leicht erhöhen.
Welchen Rat geben Sie Menschen, die an Schizophrenie leiden?
Sich gute Helfer zu suchen, ob das nun Ärzte sind oder Psychotherapeuten sind. Denn es war das, was mir geholfen hat. Und ich ermutige alle dazu, nicht in der Opferrolle zu verharren. Menschen, die Traumatisches erlebt haben, sind besonders anfällig für die Opferrolle. Aber dort gibt es nichts Schönes. Das schöne Leben beginnt dort, wo man sich wieder als selbstwirksam begreift. Wo man nicht mehr darauf wartet, dass andere einem helfen – sondern da, wo man sich selbst eine gute Freundin, ein guter Freund, ist.
Danke für das Gespräch.
Puja Angelika Büche hat Cello studiert. Später arbeitet sie als Sozialarbeiterin mit jugendlichen Straftätern und als Ergotherapeutin. Über ihre Erfahrungen mit Schizophrenie hat sie das Buch „Lass dich nicht ver-rückt machen: Ein Mutmachbuch zum Thema Schizophrenie für Betroffene, Angehörige und Helfende“ geschrieben.
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