Schlafmittel: manchmal trotz Nebenwirkungen sinnvoll

Sich im Bett stundenlang hin- und herzuwälzen ist einfach nur zermürbend. Schlafmittel hingegen machen abhängig. Dennoch sind sie besser als ihr Ruf

Schlafmittel: manchmal trotz Nebenwirkungen sinnvoll

© Mauritius Images

Etwa 34 Millionen Deutsche bekommen nachts kein Auge zu. Doch deshalb ein Schlafmittel nehmen? Lieber nicht, schließlich sollen die Dinger rasch abhängig machen. Prof. Dr. Dieter Riemann von der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin erklärt, warum diese Haltung auch nicht immer die beste ist.

Herr Prof. Dr. Dieter Riemann, Schlafstörungen scheinen zu einer wahren Volkskrankheit zu werden.

Das stimmt, die Zahlen sind dramatisch. In den letzten sieben Jahren haben Ein- und Durchschlafprobleme bei Berufstätigen zwischen 35 und 65 Jahren um 66 Prozent zugenommen. Die Betroffenen fühlen sich oft hilflos, sie kämpfen gegen ihre Tagesmüdigkeit an, sind weniger leistungsfähig und können sich schlechter konzentrieren.

Trotzdem nehmen nur wenige Medikamente ein, um wieder ruhig schlummern zu können.

Ja, nur etwa zehn Prozent. Von einer Epidemie an Schlafmittelabhängigen kann also keine Rede sein. Viele befürchten, nicht mehr ohne Mittel schlafen zu können, wenn sie einmal damit angefangen haben. Außerdem haben sie die Skandale um die Contergan-Geschädigten oder die vielen Valium-Abhängigen noch im Kopf. Da nimmt man dann lieber die Folgen schlechter Nächte in Kauf.

Und das kann ein Problem sein?

Ja, denn inzwischen ist klar, wie sehr unbehandelte Schlafstörungen die Gesundheit gefährden. Sie begünstigen das Risiko für schwere Erkrankungen, wie zum Beispiel an Herz und Kreislauf sowie Brustkrebs. Schlaflose leiden außerdem vermehrt unter Depressionen und Suizid-Gedanken. Deswegen sollten durchwachte Nächte über einen Zeitraum von vier Wochen oder mehr – wir sprechen dann von einer Insomnie – nicht einfach hingenommen werden.

Was sollte man denn tun, wenn man sich seit Wochen herumwälzt?

Zum Arzt gehen, denn entscheidend ist eine ausführliche Diagnostik. Insomnie hat nicht selten organische Gründe, wie zum Beispiel eine Schilddrüsenüberfunktion. Häufig sind aber auch Sorgen oder psychische Erkrankungen die Ursache. Daher wurde die kognitive Verhaltenstherapie an erster Stelle in die Leitlinien zur Behandlung aufgenommen. Erkrankte lernen dabei unter anderem Methoden, Stress abzubauen und nächtliche Grübeleien abzuschalten. Gleichzeitig sollten Schlafmittel jedoch nicht dämonisiert werden, etwa wenn andere Therapien nicht anschlagen. Dann können sie ein Segen sein und es ermöglichen, aus einer sehr ungesunden und belastenden Phase auszusteigen. Wie auch in Ausnahmesituationen, etwa im Krankenhaus vor einer Operation. Anspannung und Stress sind dann kontraproduktiv.

Die neuen sogenannten Z-Schlafmittel gelten als nebenwirkungsärmer.

Ja, Medikamente wie Zopiclon, Zaleplon und Zolpidem haben die früher verschriebenen Benzodiazepine weitestgehend ersetzt. Diese Arzneimittel machten tatsächlich schneller abhängig und verursachten einen Hangover-Effekt: Die Schläfrigkeit durch das Medikament blieb bis in den Vormittag erhalten. Aber auch die neuen Arzneistoffe sind nicht ohne Nebenwirkungen und sollten lediglich als Kurzzeittherapie eingesetzt werden, also maximal drei bis vier Wochen. Denn ein Schlafmittel kann grundsätzlich nur die Symptome lindern, nicht aber das zugrunde liegende Problem beheben.

Vielen Schlaflosen helfen pflanzliche Präparate, auch wenn ihre Wirkung in Studien kaum nachgewiesen werden kann. Wie kommt das?

Hier spielt der Placeboeffekt eine wichtige Rolle. Schlafgestörte setzen sich oft unbewusst unter starken psychischen Druck, weil sie verständlicherweise unbedingt schlafen wollen. Dann beginnt ein Teufelskreis: Sie schauen ständig auf die Uhr und zählen die Stunden, die ihnen noch bis zum Aufstehen bleiben. Statt schläfrig werden sie immer aufgeregter – und wacher. Ein Scheinmedikament kann diesen Kreislauf durchbrechen, allein dadurch, dass es Linderung verspricht. Diesen guten Effekt sollten Betroffene nutzen, bevor sie zu chemischen Mitteln greifen, genau wie den von Entspannungsverfahren wie etwa autogenem Training oder Progressiver Muskelrelaxation nach Jacobson. Auch Wissen hilft, es ist absolut angemessen, mal ein Buch zum Thema zu lesen. Denn mit einfachen Maßnahmen wie denen zur Schlafhygiene und mehr Informationen über die Entstehung von Schlafstörungen kann man oft schon Druck rausnehmen.

Wie kann ich eine Abhängigkeit verhindern, wenn es doch nicht ohne Medikament geht?

Ich sollte mir der Risiken und Nebenwirkungen bewusst sein und die Arzneien nicht unkritisch schlucken. Schon wer die Mittel nicht jeden Tag nimmt, beugt einer Abhängigkeit vor. Akzeptieren Sie Schlafmittel nicht als Dauerlösung, sondern gehen Sie den Ursachen der Schlaflosigkeit auf den Grund. Der Hausarzt ist ein guter Ansprechpartner und kann Sie auch an einen Psychologen überweisen. Sofern Sie kurzzeitig ein Mittel nehmen, sollten Sie dies langsam ausschleichen lassen und nicht von jetzt auf gleich absetzen.

Dr. Dieter Riemann

Dieter Riemann

© Universitäts-klinikum Freiburg / Britt Schilling

Der Psychologe Dr. Dieter Riemann ist Professor für klinische Psychologie und Psychophysiologie an der Universitätsklinik Freiburg und seit Kurzem Chefredakteur der Fachzeitschrift „Journal of Sleep Research“.

 

 

 

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