Schlaue Apps: Daddeln für’s Gehirn

Können Hirntraining-Apps den Kopf fit machen, das Gedächtnis stärken und geistigen Verfall bremsen?

Schlaue Apps: Daddeln für’s Gehirn

© Original: shutterstock/YuriyZhuravov

Susanne, rundum fit, lebenslustig und stolze 73 Jahre alt, wischt auf ihrem Smartphone herum: Sie steuert ein kleines Boot durch einen Eiskanal. „Hach, ist das aufregend, ich hab noch nie so ein Spiel gespielt, ups, zu weit links!“, japst sie. Als Nächstes fotografiert sie ein aus dem Wasser springendes Monster, schießt Leuchtraketen ab – und liefert damit der Demenzforschung in zwei Minuten Daten, für die sonst fünf Stunden Laborarbeit nötig wären.

Denn was von Aufgabenstellung und Optik eher wie ein digitales Kinderspiel anmutet, ist in Wirklichkeit ein Forschungsprojekt: Das mobile Spiel „Sea Hero Quest“ (entwickelt von der Deutschen Telekom und wissenschaftlichen Einrichtungen wie dem University College in London) sammelt weltweit Daten über das Orientierungsvermögen von Erwachsenen jeder Altersgruppe – mit einem wichtigen Ziel.

„Ein frühes Anzeichen von Demenz ist die nachlassende räumliche Orientierung. Um jedoch überhaupt einordnen zu können, was in welchem Alter normal ist, braucht es möglichst viele Vergleichsdaten“, sagt Prof. Stephan Brandt, stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie an der Charité Berlin. Diese werden derzeit spielend auf der ganzen Welt erhoben, inzwischen sind schon über 2,5 Millionen Menschen durch die Eiskanäle gedüst.

„Erste Ergebnisse zeigen beispielsweise: Die räumliche Orientierung nimmt bereits, anders als bisher angenommen, mit dem frühen Erwachsenenalter ab“, sagt Brandt. Das Ziel der Forscher ist, auf Basis der Daten therapeutische und diagnostische Verfahren zu entwickeln. Diese könnten etwa eine entstehende Demenz anzeigen, bevor das Gedächtnis spürbar nachlässt, oder Therapieerfolge dokumentieren.

Susanne ist inzwischen auf dem übernächsten Level angekommen und liefert damit eifrig weiter Daten. Doch profitiert auch sie selbst von dem Spiel oder nur die Forschung? Kann die App die räumliche Orientierung im Alltag verbessern oder sogar Demenz aufhalten?

Viele der Studien sagen nichts aus

Eher nicht. „Es wäre verfrüht zu behaupten, dass Sea Hero Quest die Orientierung in der realen Welt erleichtert“, sagt Stephan Brandt. „Die Orientierung verbessert sich zwar durch das Spielen – aber zunächst einmal nur in der Sea-Hero-Quest-Umgebung. Die Effekte lassen sich nicht zwangsläufig auf den Alltag übertragen.“

Das gilt genauso für jene Gehirntraining-Apps, deren Hersteller laut rufen, dass diese Demenz vorbeugen, die Denkgeschwindigkeit und die Intelligenz steigern könnten: Wer Memory-Karten aufdeckt, wird besser im Memory-Spielen, aber nicht im Einkaufsliste- Merken. Und wer seine Reaktionsschnelligkeit trainiert, indem er auf einen roten Punkt drückt, wenn ein bestimmtes Bild erscheint, wird in der nächsten brenzligen Verkehrssituation nicht schneller auf die Bremse treten.

Auf diese Begrenzung wies vor rund einem Jahr eine Forschergruppe der University of Illinois (USA) hin, nachdem sie sich all die Studien vorgeknöpft hatte, die die Gehirntraining-Anbieter als Beweis für ihre Aussagen angaben. Sie stellte fest: Viele der Untersuchungen sind nicht aussagekräftig, und es gibt wenig Beweise dafür, dass die Apps mehr verbessern als genau das, was sie trainieren. Und so sagt auch Neurologe Brandt: „Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Belege, dass Gehirntrainings – egal ob per App oder als Sudoku – Demenz vorbeugen können.“

Mehr Ausdauer, bessere Konzentration

Das heißt jedoch nicht, dass Gehirntraining-Apps gar nichts bringen – im Gegenteil. „Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer nehmen zu, nicht nur, was das Spielen betrifft“, so Brandt. Und, besser noch: „Es gibt Hinweise, dass kognitive Trainings eine positive Auswirkung auf Lebensqualität, Stimmung und Verhalten haben.“ Außerdem lässt sich durch die richtige Wahl der Trainingselemente etwas bewirken. „Je näher die Aufgaben am Alltag sind, desto eher ist der Effekt auch auf den Alltag übertragbar“, sagt Brandt. Wer beispielsweise Kopfrechnen übt, kann beim Einkauf besser überschlagen, was das Budget noch hergibt.

Aufgaben, die das Merken von Begriffen oder Zahlen trainieren, können hilfreich sein, Einkaufslisten und Telefonnummern abzuspeichern. „Diese Übungen verbessern nicht grundsätzlich das Gedächtnis an sich, das wäre ein Trugschluss. Aber sie trainieren Strategien, um sich etwas Bestimmtes, beispielsweise Zahlen, zu merken“, sagt Brandt.

Am meisten bringen Apps im Kombipack

Und in einem sind sich alle Experten ohnehin einig: Je mehr wir unser Hirn lebenslang herausfordern und mental aktiv sind, desto besser. Genauso wichtig für die geistige Fitness scheinen Bewegung und ein erfülltes soziales Leben zu sein. Viele Experten, etwa die kanadische Neurowissenschaftlerin Adele Diamond, empfehlen, diese Faktoren möglichst zu verbinden: einen Sprachkurs zu machen, sich einer Tai-Chi-Gruppe anzuschließen, im Chor zu singen. Denn so ergibt sich ein bunter Strauß an mentaler Herausforderung, sozialer Interaktion, körperlicher und motorischer Fitness.

Auch die Bereitschaft, sich immer wieder auf Neues einzulassen, ist wesentlich: „Als Erstes altert die kognitive Flexibilität, also die Fähigkeit, mit neuen Situationen umzugehen“, sagt Tilo Strobach, Professor für allgemeine Psychologie an der Medical School Hamburg.

Ist mit diesen Aktivitäten schon eine gute Basis gelegt, können Training-Apps spürbar weiterhelfen. Damit sie etwas bringen, sollten sie nicht nur grundsätzlich mit wissenschaftlichem Hintergrund konzipiert sein. „Wichtig ist auch, dass sie abwechslungsreich und anspruchsvoll sind und bleiben, sich also an den jeweiligen Leistungsstand anpassen. Rückmeldungen über die Trainingseffekte helfen, motiviert zu bleiben“, sagt Strobach. Denn damit ein Gehirntraining Erfolge zeigt, muss regelmäßig und dauerhaft gedaddelt werden. In dieser Beziehung gleicht unser Gehirn einem Muskel: Auch der bildet sich zurück, wenn das Training eingestellt wird.

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