Herr Prof. Wedekind, haben Sie heute schon mit sich selbst gesprochen?
Gute Frage! Das weiß ich ehrlich gesagt nicht ganz genau. Ich glaube schon, dass ich vielleicht sogar mehr als andere Menschen dazu neige, mit mir selbst zu sprechen – nicht zuletzt, weil es ein Thema ist, mit dem ich mich beruflich beschäftige. Aber es läuft nicht immer bewusst ab. Was auch typisch für Selbstgespräche ist.
Was ist denn ein klassisches Selbstgespräch?
Es gibt verschiedene Arten von Selbstgesprächen. Selbstgespräche können der Motivation dienen, etwa wenn der Elfmeterschütze vor dem Schuss zu sich sagt: „Du haust das Ding jetzt rein!“ Oder man erinnert sich als Gedankenstütze mit einem Selbstgespräch laut an etwas wie den Schlüssel mitzunehmen, bevor man das Haus verlässt. Genauso kann einen das Selbstgespräch auf eine bevorstehende Aufgabe wie einen Vortrag vorbereiten. Denn wenn man Dinge ausspricht, merkt man sie sich besser. Und in Selbstgesprächen reflektiert und hinterfragt man natürlich auch sich selbst.
Selbstgespräche sind also etwas Positives?
Durchaus. Wenn wir denken, sind die Gedanken in aller Regel nicht wie in einem Text in Worte gefasst, sondern eher beiläufig, ein bisschen nebulös. Beim Sprechen werden sie deutlicher. Sie stehen im Raum. Und klare Absichten lassen sich besser in die Tat umsetzen als abstrakte Ideen.
Macht es einen Unterschied, ob ich die Gedanken laut ausspreche, oder ob ich sie einfach nur still formuliere?
Es gibt Leute, die können sehr konkret und sehr verbal denken. Aber auch dieses strukturierte Denken ist in aller Regel nicht das Gleiche wie das Aussprechen. Denn durch das Verbalisieren gebe ich dem Gehirn über meine Stimme eine ganz andere Rückmeldung, als wenn ich nur denke.
Auch Kinder sprechen oft mit sich selbst – am Anfang lautstark, in der ersten Klasse eher leise.
Ja, bei Kindern sind Selbstgespräche ein ganz normales, teilweise physiologisch bedingtes Verhalten, mit dem sie lernen Sätze zu bilden oder das Gehör zu schulen. Genauso lösen sie vielleicht Probleme, indem sie verschiedene Argumente mit sich diskutieren. Wenn sie gerade Probleme mit Freunden, Geschwistern oder Eltern haben, kann ihnen das helfen, Stress abbauen.
Auch wenn Selbstgespräche normal zu sein scheinen, möchte man sich als Erwachsener nicht dabei erwischen lassen.
Das stimmt. Gleichzeitig kann man sich heutzutage nicht sicher sein, dass jemand nicht gerade telefoniert.
Aber könnte die Scheu vor Selbstgesprächen auch daran liegen, dass manche psychische Erkrankungen mit Selbstgesprächen einher gehen?
Ja. Wobei man diese Selbstgespräche schon sehr grundsätzlich von Alltags-Selbstgesprächen unterscheiden muss. Menschen mit einer Schizophrenie hören beispielsweise Stimmen, auf die sie reagieren. Sie können sich nicht aussuchen, ob sie die Stimmen wahrnehmen oder nicht. Und auch bei manchen neurodegenerativen Erkrankungen wie Demenz lassen die Betroffenen mitunter ihre Affekten freien Lauf, sie schimpfen vielleicht laut vor sich, ohne es unterlassen zu können.
Aber auch jeder gesunde Erwachsene spricht hin und wieder mit sich selbst?
Vermutlich schon. Wobei es hier auch eine Frage des persönlichen Stils und Temperaments ist. Jemand, der sehr extrovertiert ist, wird vermutlich häufiger mit selbst sprechen als eine verschlossene und eher in sich gekehrte Person, die Hemmungen hat, damit aufzufallen. Das ist weder gut noch schlecht, sondern vielmehr Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. Aber wer immer das Gefühl hat, das Selbstgespräch bringt ihm etwas – vielleicht auch Entlastung bei Stress – sollte sich frei fühlen, das zu tun.
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