Stress and the City – Warum Städte krank machen und trotzdem gut für uns sind

Depressionen, Angststörungen, Schizophrenien - darunter leiden viele Städter. Warum das das so ist, beschreibt Mazda Adli in seinem Buch

Stress and the City – Warum Städte krank machen und trotzdem gut für uns sind

© iStock/Nikada

Im Jahr 2050 sollen nach einer UNO-Studie drei von vier Menschen im städtischen Raum leben. 70 Prozent der Weltbevölkerung würden demnach auf zwei Prozent der Fläche wohnen. Dichte schafft Stress, und Stress ist schlecht für die Gesundheit. Warum Städte trotzdem nicht krank machen müssen, verrät der Autor Mazda Adli in seinem Buch „Stress and the City“.

Herr Dr. Adli, Sie sind in Teheran aufgewachsen, einer Metropole mit 14 Millionen Einwohnern, haben in San Francisco gelebt, in Wien und jetzt sind Sie in Berlin-Mitte zu Hause. Was mögen Sie am Stadtleben?

Mir haben Städte stets viel mehr gegeben als sie mich gekostet haben. Insbesondere was Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten angeht. Man kann seinen Stärken nachgehen, Talente entwickeln. All das fällt in der Stadt leichter als auf dem Land.

Trotzdem, so schreiben Sie, kann die Stadt krank machen.

Man findet in der Tat eine Häufung von psychischen Erkrankungen, die bei Stadtbewohnern mit Stress in Zusammenhang stehen. Zum Beispiel tritt die Depression bei Stadtbewohnern im Vergleich zu Landbewohnern ungefähr 1,5 mal so häufig auf. Angsterkrankungen kommen häufiger vor. Und: Stadtbewohner leiden doppelt so häufig an Schizophrenie.

Woran liegt das?

 Bei den genannten Krankheiten wird vermutlich sozialer Stress gesundheitsrelevant. Zu sozialem Stress zählen wir soziale Dichte einerseits und soziale Isolation und Abstiegsängste andererseits. Wenn beide Stressformen gleichzeitig auf den Menschen wirken, kann das eine toxische Mischung ergeben.

Aber nicht jeden macht die Stadt krank. Wir müssen vielmehr verstehen, wer die Menschen sind, denen das Stadtleben zusetzt. Und das sind diejenigen, die sich dem sozialen Stress – Dichte plus Isolation – nicht entziehen können. Den meisten von uns, die in den Städten leben, tut die Stadt hingegen gut. Viele kommen aus Gesundheitsgründen in die Stadt. Es gibt eine bessere Gesundheitsversorgung. Der nächste Arzt, das nächste Krankenhaus, sind im Zweifel nicht weit weg. Außerdem bündelt sich die medizinische Kompetenz überwiegend in den Städten. Zu diesen Vorzügen der Stadt kommen weitere Dinge, die unserem psychischen Wohlbefinden zuträglich sind. Dazu gehören die besseren Bildungschancen. Die Fördermöglichkeiten für Kinder sind viermal so hoch im Vergleich zu denjenigen auf dem Land. Und Familien können aufgrund der kürzeren Wege ihren Alltag viel leichter gestalten. Außerdem hat man in der Stadt mehr Chancen auf Wohlstand.

Wenn man sich die zahlreichen Urban-Gardening-Projekte anschaut oder die hohen Auflagen von Magazinen wie Landlust, scheinen viele Städter von einer Sehnsucht nach dem Land getrieben.

Ja, das stimmt. Es gibt auch eine Untersuchung, die besagt, dass eine Überzahl von deutschen Fernsehserien auf dem Land spielt. Natürlich haben wir Städter Sehnsucht nach Grün, nach Erholung in ländlicher Umgebung. Aber das heißt noch lange nicht, dass man deswegen die Stadt verdörflichen will oder sich auf dem Land wohler fühlen würde. Es ist doch etwas anderes, ob man sein Wochenende im Grünen verbringt oder ob man sein Alltagsleben in einer ländlichen Struktur organisiert.

Gibt es denn typische Stadt- und typische Landmenschen?

Eine allgemeine Charakterisierung ist sicherlich nicht möglich. Aber Menschen, die ein höheres Lebenstempo an den Tag legen, zieht es schon in die Städte. Die höhere Taktzahl der Städte wiederum verstärkt diese Eigenschaft im Menschen. Außerdem fühlen sich möglicherweise Menschen in der Stadt wohl, die etwas aus der Reihe tanzen, weil sie in der Anonymität der Stadt besser zurecht kommen als in der Exponiertheit eines dörflichen Lebens. Deswegen werde ich auch oft gefragt, ob die Häufung von Schizophrenie nicht daran liegen könnte, dass Menschen mit einem erhöhten Schizophrenierisiko eher in Städte ziehen. Das kann schon sein. Aber selbst wenn man diesen Faktor aus den epidemiologischen Studien rausrechnet, bleibt das höhere Risiko bei Stadtbewohnern und vor allem bei denen, die in der Stadt aufgewachsen sind, bestehen. Allgemein waren Städte immer schon ein Refugium für das ganze Spektrum der menschlichen Diversität.

Wer hingegen sehr auf Planbarkeit im Leben wert legt, fühlt sich eher am Stadtrand oder außerhalb der Stadt wohl.

Wie sieht denn eine Stadt aus, die gesund für ihre Bewohner ist?

In Berlin haben wir sehr breite Bürgersteige, und die sind immer ein schönes Beispiel dafür, was öffentlicher Raum bedeutet. Durch den Platz werden die Bürgersteige zu Verweilzonen, auf die Cafébesitzer und Anwohner im Sommer Tische und Stühle stellen. In Berlin gibt es außerdem viele Baubrachen, also unfertige, informelle Plätze, die für die Stadtbewohner zu Orten werden, an denen sie grillen, einen Flohmarkt veranstalten oder an denen Kinder spielen. So eine Baubrache bekommt dadurch einen Public Health-Auftrag. Sie wirkt sozialer Isolation entgegen.

Dann wäre es sinnvoll, wenn Stressforscher in die Stadtplanung einbezogen werden.

Das wäre wünschenswert! Denn wenn es stimmt, dass unsere Städte überall auf der Welt wachsen und 2050 zwei Drittel der Menschen weltweit in Städten wohnen, und wenn außerdem richtig ist, dass in Städten das Schizophrenierisiko doppelt so hoch ist wie in ländlichen Regionen – dann ist es jetzt höchste Zeit, Gesundheitsdisziplinen und Stadtgestaltung zusammen zu bringen.

Was würden Sie einem gestressten Großstädter empfehlen?

Hier gibt es keine einfache Antwort, die für alle stimmt. Aber man kann schon eins sagen: Alles, was das soziale Miteinander fördert, tut gut, weil es dem Faktor soziale Isolation entgegenwirkt. Man sollte also möglichst viele Gelegenheiten schaffen, um Zeit vor der eigenen Haustüre zu verbringen, sich die Stadt aneignen und sich zum Beispiel die Nachbarschaft vertraut machen. Deswegen brauchen Städte öffentliche Räume, die eine Vernetzung mit anderen Menschen ermöglichen. Menschen, die eine Grünfläche in der Nähe haben, haben außerdem ein geringeres Depressionsrisiko in der Stadt. Es muss gar nicht ein großer Park zur Verfügung stehen, da reicht ein kleiner Taschenpark oder besagte Baubrache, auf der Gräser sprießen. Wir wissen, dass Kinder, die eine Grünfläche in der Nähe haben, sich besser konzentrieren können und bessere Schulleistungen aufweisen.

Sie selbst haben sich für das Schreiben Ihres Buches von Berlin Mitte auf das Land zurückgezogen.

Ja. Ich war in Brandenburg, auf Sri Lanka, in der Provence, auf Mallorca, im Engadin. Dort habe  ich jeweils sehr angenehme Rückzugsorte vorgefunden. Es ging mir aber gar nicht in erster Linie um die Ruhe des Landes, sondern darum, eine Distanz zu meinem üblichen Alltag zu schaffen.


14c316-47Mazda Adli ist Psychiater, Psychotherapeut und Chefarzt der Fliedner Klinik Berlin. Außerdem leitet er den Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Berliner Charité. Nach dem Medizinstudium war er Assistenzarzt an der Klinik für Psychiatrie der Freien Universität Berlin und anschließend Oberarzt an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité am Campus Mitte. Im Zentrum seiner wissenschaftlichen Arbeit stehen die Stress- und Depressionsforschung. Sein neuestes Projekt ist das Interdisziplinäre ForuStress and the City Buchm Neurourbanistik, das er gemeinsam mit der Alfred Herrhausen Gesellschaft sowie Neurowissenschaftlern, Architekten und Stadtforschern gegründet hat.

Buch: Stress and the City. Warum Städte uns krank machen. Und warum sie trotzdem gut für uns sind. C. Bertelsmann, 384 Seiten, € 19,99


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