Was stresst Sie? Wenn Sie an der Kasse feststellen, dass Sie Ihr Geld vergessen haben? Wenn Sie sich mit Ihrem Partner streiten? Wenn Sie vor lauter Arbeit kaum noch aus den Augen gucken können?
Ob im Büro oder sogar im Urlaub – das Gefühl der gereizten Anspannung kennt jeder. Gerade jetzt im Winter, da trübes, kaltes Wetter und oft auch Erkältungen uns schlecht draufbringen.
Was das unangenehme und auf Dauer ungesunde Gefühl allerdings auslöst, ist für jeden Menschen unterschiedlich – und muss erstaunlicherweise gar nicht zwingend mit der Schwere der Aufgaben und der Fülle der Termine zu tun haben.
„Was uns in Stress versetzt, hängt ganz stark damit zusammen, wie wir eine Situation bewerten, wie wichtig wir sie finden“, sagt Michèle Wessa, Professorin für Klinische Psychologie und Neuropsychologie an der Universität Mainz. „Und wie wir unsere Fähigkeit einschätzen, damit zurechtzukommen.“
Sie und ihre Kollegen am Deutschen Resilienz Zentrum erforschen, warum manche Menschen hier so ausnehmend gut aufgestellt sind. Aufgaben, die anderen schlaflose Nächte bereiten, betrachten diese Menschen höchstens als Herausforderung.
Resilienz nennen Fachleute die innere Widerstandskraft. Doch ist diese innere Ruhe einem Menschen einfach gegeben? Nur teilweise. Die Gene beeinflussen mit, wie entscheidende Botenstoffe reguliert werden, etwa Cortisol oder Serotonin.
„Doch das ist nur ein Baustein“, sagt Michèle Wessa. „Jeder, der eine genetische Disposition dafür hat, leichter in Stress zu geraten, kann durch psychologische Faktoren ganz viel abpuffern.“
Gut genug ist besser als perfekt
Bei der Psychologie des Stresses kommt allerdings wiederum das zum Tragen, was uns von zu Hause mitgegeben wurde: Die Bindung, die ein Kind zu seinen Eltern entwickelt, spielt eine Rolle dabei, wie es später mit Stress umgeht. Ein stabiles Selbstvertrauen kann entscheidend dazu beitragen, Situationen als weniger belastend einzuschätzen, ergab eine Übersichtsarbeit der britischen University of Leeds. Dabei sei es gar nicht nötig zu glauben, dass man selbst großartig sei, betonen die Autoren der Studie. Sondern nur, dass man gut genug ist, um mit einer Anforderung fertig zu werden.
Und an dieser Überzeugung kann jeder arbeiten: Hilfreich dafür sei es, sich immer wieder bewusst zu machen – oder sogar aufzuschreiben –, welche Fähigkeiten man hat und was einem bereits alles gelungen ist. Perfektionismus dagegen verstärkt jeden Druck.
Den Sack beiseite schieben
Gelassenheit lässt sich lernen, auch in späteren Jahren. „Eine Situation belastet weniger, wenn man Gegebenheiten, Gefühle, Zustände einfach akzeptiert – ohne dagegen anzukämpfen“, sagt Michèle Wessa. Eine Anti-Stress-Strategie aus der buddhistischen Tradition, die sich trainieren lässt und die auf Dauer gelassener macht. Entweder man nimmt den Sack auf die Schulter oder man versucht, ihn beiseite zu schieben, nennt es Michèle Wessa.
Oder man lässt sich mit dem Sack helfen: Menschen, die sehr gut mit Stress umgehen können, verfügen über besonders viel Unterstützung von Familie und Freunden und wissen sie auch zu nutzen, zeigen Studien. Wenn man unter Druck steht, sollte man daher nicht zögern, um Hilfe zu bitten.
Und was ist das Entscheidende beim Umgang mit Stress?
„Dass man sich unter Stress kennenlernt“, sagt die Expertin. „Und darauf achtet, wann man überhaupt anfängt, unter Druck zu geraten, und wie der Körper darauf reagiert.“ Etwa ob man leicht schwitzt oder sich die Aufmerksamkeit verengt. „Es ist wichtig, diese Empfindungen zu spüren und nicht einfach abzutun. Sich zu fragen: Wie reagiere ich in unterschiedlichen Situationen, und was sagt mir das?“, meint Michèle Wessa.
Oft helfe allein diese Erkenntnis. So ließen sich eigene Bewertungen hinterfragen – etwa, warum es einem so wichtig ist, zu einem Familienfest ein aufwendiges Menü für alle zu kochen, obwohl man es selbst kaum in Ruhe genießen kann.
Lohnen kann es sich auf jeden Fall, nach mehr Gelassenheit zu streben: Stressresistenz ist eines der Erfolgsrezepte von Menschen, die sehr alt werden.
Mehr Infos zu Stressresilienz-Trainings unter klinische-psychologie-und-neuropsychologie.uni-mainz.de/hochschulambulanz
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