Body-Mass-Index: Vermessen!

Ob jemand abnehmen sollte, zeigt eher das Maßband als die Waage

Body-Mass-Index: Vermessen!

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Der Body-Mass-Index gilt als überholt

Lange Zeit schien alles ganz klar. Wer gesund bleiben wollte, sollte besser nicht zu viel auf die Waage bringen. Als Goldstandard für ein optimales Gewicht galt der BMI, der Body-Mass-Index, der das Körpergewicht in Relation zur Größe setzt. Doch die weltweit gängige Formel ist massiv in die Kritik geraten. „Der BMI gibt in vielen Fällen eine falsche Information“, sagt der Münchener Internist Dr. Harald Schneider.

Ein hoher BMI ist nicht immer schlecht

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat vor rund 20 Jahren die derzeitigen Kategorien festgelegt. Berechnet wird das Gewicht in Kilogramm, geteilt durch die Größe in Metern zum Quadrat. Als normal gilt ein Ergebnis zwischen 18,5 und 24,9, geringere Werte bedeuten Untergewicht, ab einem BMI von 25 beginnt das Übergewicht, ab 30 die Fettleibigkeit (Adipositas). Beinah die Hälfte der Erwachsenen in Deutschland wiegt nach dieser Einteilung zu viel. Doch immer deutlicher zeigt sich: Ein hoher BMI ist nicht in jedem Fall schlecht.

Forscher der University of California in Los Angeles zeigten das gerade anhand von Daten einer landesweiten Erhebung. Sie fanden bei knapp der Hälfte der Menschen mit einem BMI über 25 keinen Hinweis auf Stoffwechselerkrankungen, ebenso
wenig bei 29 Prozent der Fettleibigen. Bei
 knapp einem Drittel der Menschen mit 
„normalem“ BMI wiesen die Blutwerte allerdings auf eine Neigung zu Schlaganfall, Diabetes und anderen Wohlstandskrankheiten hin.
 Die Schwächen des BMI sind offensichtlich. Die Formel berücksichtigt weder, wie muskulös jemand ist – Sportler haben oft einen BMI wie Übergewichtige –, noch, wie sich das Körperfett verteilt. Als besonders gefährlich gilt das Bauchfett, es sondert Entzündungsfaktoren ab und erhöht das Risiko
für Diabetes, Krebs und Herzinfarkt. „Beim Unterhautfett dagegen gibt es sogar Hinweise auf schützende Effekte“, sagt Schneider. So sind Frauen mit Kurven und schmaler Taille gesundheitlich eher auf der sicheren Seite. Menschen mit normalem BMI, aber zu rundem Bauch, weniger. Denn die Fettverteilung sagt mehr über den Krankheitswert von Übergewicht aus als das Gewicht.

Doch immer deutlicher zeigt sich: Ein hoher BMI ist nicht in jedem Fall schlecht.

Auch das Alter spielt eine Rolle. „Für junge und gesunde Menschen ist Übergewicht, das in 15 oder 20 Jahren Probleme verursacht, relevant“, so der Kardiologe Prof. Stefan Anker im renommierten Wissenschaftsjournal „Nature“. Ältere jedoch profitieren sogar von etwas mehr Gewicht, wie kürzlich etwa eine australische Studie bei Menschen ab 65 zeigte. Das Risiko für einen frühen Tod stieg in dieser Untersuchung eher bei denjenigen, die einen BMI von 23 und weniger hatten. Die Hamburger Gesundheitswissenschaftlerin Ingrid Mühlhauser ermittelte den BMI, der Menschen im mittleren Alter die höchste Lebenserwartung verspricht: Er liegt bei 27. Und auch die amerikanische Epidemiologin Katherine Hegal belegte in einer viel diskutierten Übersichtsarbeit, dass Übergewichtige länger leben als Menschen mit Normal-BMI. Adipositas-Paradox nennen Forscher dieses Phänomen.

Ein simples Maß

Nun besagen diese Erkenntnisse wenig für den Einzelnen. Wissenschaftler haben aber in jüngster Zeit eine Reihe neuer Formeln entwickelt, um persönliche Risiken vorherzusagen. Doch egal ob BAI (Body-Adiposity-Index; berechnet aus Körperlänge und Hüftumfang), ABSI (A-Body-Shape Index; berücksichtigt Größe, Gewicht, Bauchumfang, Geschlecht und Alter) oder SBSI (Oberflächen-Körperform-Index; bezieht Körperform und -größe ein): Alle haben ihre Schwächen und sind vergleichsweise kompliziert. Darum kommt in letzter Zeit vermehrt der Taillen- oder Bauchumfang ins Spiel. Dieses simple Maß erlaubt es bereits, die Gesundheit erstaunlich gut einzuschätzen. Zum Messen legt man ein Maßband zwischen der untersten Rippe und dem oberen Rand des Beckenknochens um den Bauch (vorher einmal ein- und ausatmen!). Nach Angaben der WHO soll der Wert bei Männern maximal 102 Zentimeter betragen, bei Frauen nicht über 94 Zentimeter. „Allerdings steigt schon bei Werten, die darunterliegen, das Risiko für Krankheiten linear an“, sagt der Hormonspezialist Schneider. Noch einmal aussagekräftiger ist die sogenannte Waist-to-Height-Ratio: Das Verhältnis von Bauchumfang zu Körpergröße hat sich in verschiedenen Studien als bester Prognosefaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und frühe Sterblichkeit erwiesen. Dabei sollte der Taillenumfang idealerweise weniger als die Hälfte der Körpergröße betragen. Bei 170 Zentimetern also maximal 85 Zentimeter – mit über 50 Jahren darf es etwas mehr sein.

Es kommt auf die Fitness an

Es geht also auch ganz einfach. Und es wird immer deutlicher, dass die Zahl auf der Waage gar nicht so viel über die Gesundheit aussagt, wie man jahrzehntelang geglaubt hat. Viel wichtiger könnte sein, wie man mit Stress umgeht und wie ausgewogen man sich ernährt. Und vor allem, wie viel man sich bewegt. Das zumindest legt eine amerikanische Studie nahe: Ihr zufolge haben übergewichtige und schlanke Menschen ähnlich gute Chancen auf ein langes Leben – vorausgesetzt, sie halten sich regelmäßig fit.

 

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