Wie fühlt es sich an, alkoholabhängig zu sein, Vlada Mättig?

Vlada Mättig, Mitte 30, passt überhaupt nicht in das Bild, das viele Menschen von Alkoholikern oder ehemaligen Alkoholikern im Kopf haben. Ein Interview.

Wie fühlt es sich an, alkoholabhängig zu sein, Vlada Mättig?

Vlada Mättig war alkoholabhängig und ging mit ihrer Geschichte auf ihrem Blog herzsuchtfluss.de an die Öffentlichkeit. Bild © Pedro da Silva

Vlada, Du warst alkoholabhängig und lebst nun seit einigen Jahren abstinent. Was ist das Schöne daran?

Ich hatte eine zeitlang befürchtet, dass ich ohne Alkohol ständig traurig bin und etwas vermisse. Aber dem ist nicht so. Ich muss nicht jeden Morgen aufstehen und um den Verzicht kämpfen. Im Gegenteil. Mein schönes Leben hat eigentlich erst angefangen, seit ich den Alkohol weglasse.

Du gehst mit Deiner Geschichte an die Öffentlichkeit – zum Beispiel auf Deinem Blog HerzSuchtFluss. Wie schwer ist Dir das gefallen?

Ich habe mich natürlich gefragt, ob ich das bringen kann. Denn viele Leute denken bei Alkoholabhängigkeit immer noch in Schubladen. Sie haben den Penner auf der Parkbank mit einer Dose Bier vor Augen. So war ich nie, kenne aber das Stigma, ich hatte es ja selbst im Kopf. Entsprechend war ich unsicher, was andere über mich denken, wenn ich mich oute. Aber die Stimme in mir, die gesagt hat: „Los, mach das jetzt, trau Dich!“, war stärker als die Angst. Und es war die richtige Entscheidung.

Weil Du damit Menschen erreichst, die in einer ähnlichen Lage sind. Aber lass uns von vorne anfangen. Wann hast Du bemerkt, dass Du ein Problem mit Alkohol hast?

Bei mir hat das Bauchgefühl ganz zeitig gesagt, dass etwas nicht stimmt. Aber im Vergleich zu den Menschen, mit denen ich damals in Berlin Party gemacht habe, habe ich normal viel getrunken. Außerdem habe ich eben nicht meinem Bild einer alkoholabhängigen Frau entsprochen, ohne Job und ohne Familie. Ich fand auch den Begriff Alkoholikerin ganz schlimm und unpassend für mich. Trotzdem wusste ich tief im Inneren, dass ich zu viel trinke. Und irgendwann wurde es schlimmer.

Was heißt das genau?

Irgendwann war ich nicht nur psychisch abhängig vom Alkohol, sondern auch körperlich. Spätestens da musste ich was machen.

Wie hat sich die Abhängigkeit entwickelt?

Ich habe zehn Jahre lang sehr regelmäßig getrunken, vor allem, wenn ich mit Freunden unterwegs war. Vor den Treffen habe ich manchmal „vorgeglüht“ und im Anschluss an eine Party zu Hause weitergemacht, bis ich genug hatte. 2016 kam es dann zu einem Knall. Im Job lief es alles andere als gut. Eine Beziehung ging auseinander, und ich bin immer häufiger ausgegangen und habe außer Alkohol noch andere Drogen konsumiert, Speed zum Beispiel. Dann stand ich irgendwann eines morgens auf, und meine Hände haben gezittert. Ich konnte kein Glas mehr halten. Das waren Entzugserscheinungen. Entzugserscheinungen vom Alkohol. In dem Moment war mir völlig klar, dass hier etwas komplett aus dem Ruder läuft.

Hast Du dann morgens gegen die Entzugserscheinungen angetrunken?

Ja, teilweise schon. Es war für mich aber auch ein deutlicher Warnschuss, so dass ich mir relativ schnell Hilfe geholt habe. Zuerst bin ich zum Hausarzt meines Vaters gegangen, anschließend habe ich mich mit seiner Überweisung in einer Klinik vorgestellt, wo ich dann 28 Tage lang einen Entzug gemacht habe. Es alleine durchziehen zu wollen, hätte lebensbedrohlich enden können. Da ist es notwendig, dass Ärzte in der Nähe sind. 

Weil es beim körperlichen Entzug zum Delirium tremens kommen kann, einem Zustand mit möglicherweise Krämpfen, Halluzinosen, Krampfanfälle oder Psychosen. Wie ging es nach dem Entzug weiter?

Nach der Klinik dachte ich wirklich, ich hätte das Problem für mich gelöst. Aber es hat in dieser Zeit keinerlei Therapie stattgefunden, es ging nur um die körperliche Entwöhnung. Das heißt, ich wusste gar nicht, warum ich trinke. Eine Woche, nachdem ich draußen war, war die innere Anspannung so groß, dass ich an nichts anders mehr denken konnte als an Trinken. Das war der Suchtdruck, das Craving. Dann hatte ich einen Rückfall.

Da hast Du wieder getrunken?

Genau. Mir wurde klar, dass der körperliche Entzug nicht reicht. Um aufhören zu können, musste ich dahinter steigen, warum ich trinke und was ich machen kann, wenn sich dieses unbändige Verlangen wieder meldet. Daraufhin bin ich für 27 Wochen in eine Langzeittherapie in Leipzig gegangen. Normalerweise bewilligen die Krankenkassen bei Alkoholabhängigkeit 16 Wochen ambulante Therapie, aber weil bei mir auch andere Drogen im Spiel waren, war eine längere Zeit möglich.

Du hast ein halbes Jahr in einer Klinik gelebt. Wie sah Dein Alltag aus?

So, wie ich es recherchiert habe, war ich in einer der härtesten Kliniken für Abhängige.  Der Tag war so durchstrukturiert, dass ich von acht Uhr morgens bis 17 Uhr abends durchgängig Therapie hatte. Es gab Gruppen- und Einzeltherapie, außerdem war ich, genau wie alle anderen, in einem Zweitbettzimmer untergebracht. Interessant war sicher, dass ich dort Menschen begegnet bin, mit denen ich „draußen“ wohl nichts zu tun gehabt hätte. Es funktioniert aber. Denn die Gruppe ist quasi der Spiegel dafür, wie man draußen mit Menschen umgeht. 

Konntest Du dort herausfinden, warum Du getrunken hast?

Schon. Bei mir gibt es mehrere Aspekte. Zum einen war in meiner Familie Abhängigkeit ein Thema. Dass Alkohol zum Leben mit dazugehört wurde mir vorgelebt. Dazu gehörte auch, dass ich abends gesehen habe, wie mein Vater sich ein Bierchen aufmacht. Bierchen – da steckt ja schon die gesellschaftlich anerkannte Verharmlosung oder Verniedlichung drin. Ich habe also gelernt: Es wird nicht gesprochen, sondern getrunken. Letztlich habe ich den Alkohol genutzt, um zu versuchen, die Probleme in meiner Familie und meine eigenen Probleme mit Alkohol zu lösen. Und eine Wirkung des Alkohols ist die vermeintliche Entspannung, die einsetzt. Das habe ich auch beim Trinken gesucht. Loslassen und zu einer Gruppe dazu gehören.

Wie ist Deine Familie damit umgegangen, als sie Deine Abhängigkeit mitbekommen haben? Wie Deine Freunde?

Meine Eltern haben es ja noch vor dem Entzug mitbekommen und haben mich unterstützt. Und meine Freundin Katharina Vogt, mit der ich me|sober. ins Leben gerufen habe, ein Community Projekt für einen nüchternen Lifestyle, wusste es, bevor ich es ihr erzählt habe. Wir kennen uns seit 28 Jahren, ich hätte ihr sowieso nichts vormachen können. Meinen anderen Freunden habe ich erst einmal nichts gesagt. Klar: Ich habe mich abgrundtief geschämt. Ich dachte, ich gehöre nun zu den Menschen, die ihr Leben lang leiden müssen, weil sie abhängig sind und nicht trinken dürfen. Das stimmt nicht, wie ich jetzt weiß. Nachdem ich meinen Blog HerzSuchtFluss 2018 online gestellt habe, wusste natürlich jeder Bescheid. Aber da war ich schon so gefestigt, dass es mir egal war. Und niemand hat mich abgestempelt, niemand hat sich abgewendet – außer, dass ich keinen Kontakt mehr zu den Leuten aus der Berliner Clubszene habe. Die Freunde, die mich unabhängig davon begleitet haben, die sind geblieben. Ich bin immer noch Vlada.

Im Moment outen sich ja recht viele Menschen, die ein Problem mit Alkohol hatten oder haben, zum Beispiel die Journalistin Nathalie Stüben oder die  Schauspielerin Muriel Baumeister . Du hast in dieser offenen Atmosphäre zusammen mit Deiner Freundin Katharina ein Mentoring-Programm gestartet für Menschen, die ein Problem mit Alkohol haben. Für wen ist es gedacht? 

Ja. Es richtet sich, das muss ganz klar gesagt werden, nicht an Menschen, die körperlich abhängig sind. Die gehören unter ärztliche Aufsicht. Was mir damals jedoch im Vorfeld und auch nach der Therapie gefehlt hat, war ein entsprechendes Angebot. Ich dachte, wenn ich mir mein Problem eingestehe, dann muss ich – ganz platt gesprochen – zu den Anonymen Alkoholikern in den Keller gehen und sagen, dass ich die Kontrolle über alles verloren habe, ich muss mich klein machen. Und dazu hatte und habe ich keine Lust. Stattdessen möchte ich jetzt einen Sobriety Spirit kreieren und Menschen zusammenbringen, die selbstbewusst mit ihrer Abhängigkeit umgehen und stolz darauf sind, nüchtern zu sein. Ohne andere missionieren zu wollen natürlich. 

Welche Rückmeldungen bekommst Du? 

Wir haben verschiedene Kanäle. Einen Instagram-Account mit Storys, einen Blog-Post und einen Podcast, in dem wir Menschen wie Nathalie Stüben oder Muriel Baumeister interviewen. Dieses Da-Sein und Begleiten hilft. Das Problem in der Anfangsphase ist ja oft, dass man sich vom Umfeld unverstanden fühlt. Viele Freunde lächeln die eigenen Sorge in Bezug auf Alkohol weg und nehmen sie nicht ernst. Da treten wir als Verbündete auf. 

Abhängigkeit wird als chronische Krankheit definiert. Was sagst Du jemandem, der diesen Standpunkt vertritt?

Ich habe jetzt persönlich nicht das Gefühl, dass ich chronisch krank bin. Aber in Deutschland ist diese Auffassung von Abhängigkeit als chronische Krankheit die vorherrschende Meinung. Natürlich macht Alkohol abhängig, und als ich noch konsumiert habe, war ich krank. Aber als ich herausgefunden habe, warum ich getrunken habe und heute im Alltag auf eine gesunde Strategie zurückgreife, ist, so denke ich, mein Gehirn tatsächlich in der Lage, neue Bahnen zu knüpfen. Sobald ich wieder trinken würde, wäre ich wieder krank, aber ich entscheide mich für meine Gesundheit.

Ich sage auch nicht über mich: Ich bin Vlada, und ich bin abhängig. Ich bin nicht meine Abhängigkeit. Ich bin Vlada und lebe mein Leben. Fertig!

Vlada Mättig  (Website: www.herzsuchtfluss.de)

© Vlada Mättig

Vlada Mättig studierte Wirtschaftswissenschaften, arbeitete als Assistentin in einer Wirtschaftskanzlei und arbeitete später im Booking einer Modelagentur. Mit me|sober. möchte sie zusammen mit ihrer Freundin Katharina Vogt ein Bewusstsein für ein alkohol- und drogenfreies Leben schaffen und einen gesunden Lifestyle kreieren. Im englischsprachigen Raum hat sich die „Sobriety – Bewegung“ bereits stark in der Gesellschaft etabliert, für den deutschsprachigen Raum ist ihr Projekt neu. 

Vlada Mättig bei Facebook: facebook.com/herzsuchtfluss

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