Sie beißen und brennen, bohren oder stechen. Schmerzen hat jeder schon erlebt, sie sind ein wichtiges Alarmsignal des Körpers. Manchmal hilft schon ein Tee oder ein heißes Bad dagegen. Wenn Schmerzen allerdings dauerhaft bleiben oder ständig wiederkommen, können sie uns das Leben zur Hölle machen. Dann ist es selten mit einem Mittel getan. Schmerztherapeuten bekämpfen die Pein mit individuellen Strategien auf mehreren Ebenen. Immer wieder gibt es dabei neue Erkenntnisse, zuletzt auch in folgenden Bereichen.
Einsatz im Gehirn
Wer andauernde Schmerzen hat und vom Arzt ein Antidepressivum verschrieben bekommt, mag befürchten, dass er nicht ernstgenommen wird. Doch Antidepressiva sind anerkannte Koanalgetika, also Medikamente, die ursprünglich für andere Leiden bestimmt sind, aber die Behandlung von chronischen Schmerzen unterstützen. In manchen Fällen gelten sie sogar als das Mittel der ersten Wahl in der Schmerztherapie. Unter anderem neuropathische (Nerven-)Schmerzen, Rückenschmerzen, Fibromyalgie und bestimmte chronische Kopfschmerzarten sprechen auf die sogenannten Trizyklischen Antidepressiva an. Es bedarf dabei einer geringeren Dosierung als in der Behandlung von Depressionen – der schmerzstillende Effekt ist unabhängig von der antidepressiven Wirkung, weil die Arzneistoffe einen direkten Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung haben. Das bestätigen aktuelle Forschungsergebnisse von der Universität Bern: Hier haben Wissenschaftler einen bestimmten Serotonin-Rezeptor im Gehirn ausfindig gemacht, der die Schmerzwahrnehmung besonders wirksam beeinflussen kann. Auch die sogenannten Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) werden häufig in der Schmerztherapie verschrieben – etwa bei neuropathischem Schmerz sowie in der Prophylaxe von Schmerzen bei Migräne und Fibromyalgie. Mindestens ein Drittel der Patienten, deren Schmerzen durch Nervenschäden verursacht sind, erfahren eine Besserung durch Antidepressiva. Meist setzt die Wirkung dieser Mittel erst nach etwa einer Woche ein.
Die Kraft des Klangs
Was Musik bewirkt, hat jeder schon erfahren: Sie kann entspannen, Energie geben, Erinnerungen wecken. Immer klarer wird nun, dass Rhythmen und Melodien auch Schmerzkranken helfen können. Der Effekt beruht vermutlich darauf, dass Musik die Aufmerksamkeit von der Pein ablenkt und körpereigene Opiode wie Endorphine ausgeschüttet werden. Eine laufende Studie am Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf weist jetzt darauf hin, dass Musik chronische Schmerzen lindern und den Therapieverlauf bei Menschen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (der sogenannten Schaufensterkrankheit) begünstigen kann. Bei dieser Krankheit ist Bewegung ein wichtiger Baustein der Therapie – aber genau die verursacht den Betroffenen Schmerzen in den Beinen. In der Studie zeigte sich nun, dass die Kranken die Pein deutlich weniger wahrnehmen und länger auf dem Laufband bleiben, wenn sie dabei ihre Lieblingsmusik hören. Diesen Einfluss konnten die Forscher sogar an der Hirnaktivität der Probanden nachweisen. Ähnliches ergab kürzlich eine dänische Studie, die eine Schmerzlinderung bei Fibromyalgie-Patienten nachwies, nachdem die Probanden eine für sie angenehme Musik gehört hatten. Und das Deutsche Zentrum für Musiktherapieforschung in Heidelberg bewertet Musiktherapie als effektive vorbeugende Behandlungsmethode für Kinder mit Migräne. Wenn Sie nicht gerade dröhnende Kopfschmerzen haben, spricht absolut nichts dagegen, einfach mal die Lieblingsmusik als Therapie auszuprobieren. Im besten Fall brauchen Sie weniger Schmerzmedikamente, und Nebenwirkungen sind nicht zu befürchten.
Berauschender Hanf
Seit Jahrtausenden ist Hanf als Heilmittelbekannt, wegen seines berauschenden Effekts geriet er jedoch auf den Index. Immer mehr Studien belegen die Schmerz lindernde Wirkung von Cannabis; zuletzt zeigte eine Untersuchung aus der Schweiz, in die Ergebnisse von 79 Studien flossen, unter andere meinen Effekt der Pflanze bei der Therapie von Schmerzen und Krämpfen bei multipler Sklerose. Eine Übersichtsarbeit im „Deutschen Ärzteblatt“ hat ebenfalls kürzlich den Nutzen von Cannabis bei chronischen Nervenschmerzen belegt, positive Effekte gibt es auch bei chronischen Schmerzen durch Tumoren, Rheuma und Fibromyalgie. „Wir brauchen den Wirkstoff im Therapiespektrum“, sagt Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin, „und wir brauchen einen unverkrampften Umgang damit.“ Bislang ist die Lage verwirrend: Der Besitz ist strafbar, aber ausmedizinischen Gründen darf Cannabis verwendet werden. Mit einer Sondergenehmigung dürfen Schwerkranke Cannabisblüten aus der Apotheke beziehen. Es gibt ein über 600 Euro teures Fertigpräparat, ein zweites könnte bald folgen, das für gewöhnlich selbst bezahlt werden muss. Im kommenden Jahr will die Bundesregierung die Kostenübernahme durch die Krankenkasse möglich machen und Schmerzpatienten den Zugang zu Cannabis erleichtern. Das ist umstritten, auch weil der psychoaktive Hauptwirkstoff der Pflanze, Tetrahydrocannabinol (THC), Nebenwirkungen wie Psychosen auslösen kann. Hoffnungen ruhen nun auch auf einem anderen Cannabis-Inhaltsstoff: Cannabidiol (CBD), das keine euphorisierende Wirkung hat und in seiner Reinform nicht gesetzlich reglementiert ist. Noch fehlt es an Studien, doch scheint CBD Entzündungen zu hemmen und kaum Nebenwirkungen zu haben.
Botox gegen Migräne
Als Mittel gegen Falten ist es längst bekannt: Botulinumtoxin Typ A, kurz mit dem Handelsnamen „Botox“ bezeichnet. Seit wenigen Jahren wird das lähmende Gift zunehmend gegen chronische Migräne eingesetzt. Es kann die Häufigkeit und Stärke der Kopfschmerzattacken reduzieren, indem es die Muskelspannung herabsetzt und entzündlich wirkende Botenstoffe hemmt, die bei Menschen mit Migräne zu einer besonderen Schmerzempfindlichkeit führen. „Etwa die Hälfte meiner Patienten erlebt eine deutliche Linderung ihrer Beschwerden durch Botulinumtoxin“, sagt Dr. Linda Tan, niedergelassene Schmerztherapeutin in Düsseldorf. Mögliche Nebenwirkungen sind Muskelschmerzen oder eine Schwäche der Gesichtsmuskeln; meist, so Linda Tan, werde der Wirkstoff aber gut vertragen. Die Linderung tritt nach zwei bis sieben Tagen ein und hält etwa drei Monate. Rund 800 Euro kostet eine Sitzung, bei der das Mittel an mindestens 30 Stellen in Schultern, Nacken und Kopfhaut injiziert wird – am besten von darauf spezialisierten Ärzten. Die Krankenkassen zahlen, wenn zwei andere präventive Medikamente zuvor nicht geholfen haben. Bei nur gelegentlicher Migräne und chronischen Spannungskopfschmerzen scheint Botox jedoch nichts zu bringen. Als chronisch gilt eine Migräne, wenn monatlich an mindestens 15 Tagen Kopfschmerzen auftreten, davon an acht Tagen pulsierende Migräne-Schmerzen, die sich durch Bewegung verschlimmern.
Risiken eines Klassikers
Schmerztabletten können unter anderem Kopfschmerzen verursachen, wenn man zu viel davon nimmt. Das gilt auch für Paracetamol, das meistgenutzte Mittel der Welt. Doch gerade bei diesem Wirkstoff häufen sich zurzeit die Erkenntnisse über Risiken: Wissenschaftler aus ganz Europa haben kürzlich 600 Fälle akuten Leberversagens überprüft – 111 davon gingen auf eine Überdosierung mit Paracetamol zurück. Eine britische Übersichtsarbeit zeigt, dass Patienten, die den Wirkstoff länger als ein Jahr verwenden, ein um 20 bis 70 Prozent höheres Risiko für einen Schlaganfall oder Herzinfarkthaben. Diejenigen, die besonders oft Paracetamol einnahmen, hatten zudem doppelt so häufig Nierenschäden wie die Vergleichsgruppe. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte empfiehlt inzwischen, Paracetamol nur in der niedrigsten wirksamen Dosierung und über den kürzesten erforderlichen Zeitraum anzuwenden. Manchmal ist das Mittel anscheinend sowieso überflüssig. Bei akuten Rückenschmerzen wirkt es nicht besser als ein Placebo, belegten australische Forscher. Einer aktuellen Übersichtsarbeit zufolge mildert Paracetamol auch bei Hüft- und Kniegelenksarthrosen die Schmerzen kaum besser als ein Scheinmedikament.
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