Frau Professorin Trenkwalder, wie würden Sie das Restless Legs Syndrom beschreiben?
Das sind ganz unangenehme Beschwerden, Missempfindungen, üblicherweise in den Beinen, die in alle Regel nur in Ruhesituationen auftreten. Das Entscheidende ist, dass ein Bewegungsdrang daran gekoppelt ist. Das heißt, der Patient, die Patientin, hat das Gefühl, er oder sie muss aufstehen und sich bewegen. Da das Restless Legs einer circadianen Rhythmik unterliegt, tritt es vor allem abends oder nachts auf und stört ganz ausgeprägt den Schlaf. Die Schlafstörungen sind schlussendlich auch das, was die meisten Patient:innen zum Arzt oder zur Ärztin bringt. Es ist wirklich eine ernst zu nehmende, die Gesundheit und Lebensqualität beeinträchtigende Erkrankung.
Ist die Ursache für die Entstehung des Restless Legs Syndrom bekannt?
Die Ursachen sind vielfältig. Es gibt einerseits genetische Faktoren. Wir kennen inzwischen bis zu 19 Risikogene, die in unterschiedlicher Ausprägung dazu führen können, dass Menschen über eine erhöhte Disposition verfügen, ihm Laufe ihres Lebens an RLS zu erkranken. Dazu kommen Faktoren von außen: Bestimmte Vorerkrankungen wie Eisenmangel, Nierenerkrankungen oder entzündliche Erkrankungen können zu einem Ausbruch führen.
Wenn es eine genetische Prädisposition gibt, erkranken mitunter auch bereits Kinder am Restless Legs Syndrom?
Ja. Es gibt Kinder und Jugendliche, die darunter leiden. Fast immer kommt das Restless Legs Syndrom in den Familien gehäuft vor. Je jünger das Alter des Ausbruchs, desto höher die genetische Belastung. Und je später, desto stärker sind andere Faktoren an der Entstehung beteiligt.
Ein häufiges Problem ist, dass das Restless-Legs-Syndrom nicht erkannt wird.
Ja: Der Patient seinerseits bringt den Bewegungsdrang am Abend, die Schlafstörung und die Müdigkeit oft gar nicht in einen Zusammenhang. Und der Hausarzt muss für die Diagnose natürlich die richtigen Fragen stellen. Wenn eine Schlafstörung vorliegt, sollte der behandelnde Arzt oder die Ärztin wirklich immer ein, zwei Fragen bezüglich RLS stellen, insbesondere, ob die Symptome nur am Abend und in der Nacht auftreten und bei Bewegung wieder besser werden oder verschwinden. Hilfreich ist ein Beurteilungsbogen, mit dessen Hilfe sich die Schwere des Restless-Legs-Syndrom einschätzen lässt – die International RLS Severity Scale (IRLS) Schweregrad-Skala.
Welche Folge-Erkrankungen kann das Restless-Legs Syndrom nach sich ziehen?
Die Erkrankung an sich ist stressig für den Körper. Und wir wissen dass die chronischen Schlafstörungen, unter denen die Restless-Legs-Patient:innen häufig leiden, vermehrt zu psychischen Störungen führen, zu Stimmungslabilität oder depressiven Verstimmungen. Man muss sich einmal vorstellen, dass man dadurch mitunter wochen- und monatelang nie wirklich gut schläft. Das führt natürlich zu Gereiztheit und Niedergeschlagenheit, die Lebensqualität und die Work-Performance leiden ganz erheblich. Dann steht die Frage im Raum, ob durch RLS auch nächtlicher hoher Blutdruck und vermehrt kardiovaskuläre Erkrankungen entstehen können. Oder ob der hohe Blutdruck wiederum das Restless-Legs-Syndrom bedingt. Hier scheint es auf jeden Fall einen Zusammenhang zu geben.
Kann es sein, dass man nachts durch den Bewegungsdrang zwar nicht aufwacht, aber dass man aber Weckimpulse wie bei einer Schlafapnoe hat? Dass man also gar nicht richtig regeneriert in der Nacht?
Richtig. Es ist ja ganz typisch und auch ein diagnostisches Kriterium, weshalb man RLS-Patient:innen im Schlaflabor untersucht, dass vermehrt Beinbewegungen auftreten. Das sind sogenannte periodische Beinbewegungen, PLM. Sie können während des Schlafes auftreten und zu Weckreaktionen führen oder sogenannten Arousals. Da schläft der Betreffende zwar weiter, kommt aber in leichteres Schlafstadium und dadurch nicht in den Tiefschlaf, weil immer wieder eine Beinbewegung auftritt. Es kann aber auch sein, dass in nächtlichen normalen Wach-Phasen vermehrte Beinbewegungen auftreten. Das ist weiterhin ein ganz typisches Zeichen für das Restless Legs Syndrom. Die Folge davon ist, dass viele Patient:innen keinen erholsamen Schlaf erleben – auch dann nicht, wenn sie vielleicht sechs Stunden im Bett gelegen haben Da ist die Schlafqualität einfach nicht so gut.
Welche Therapien gibt es?
Zunächst einmal wird man sicher den Eisenstoffwechsel untersuchen und sehen, ob hier ein Mangel vorliegt, den es zu beheben gilt. Genauso wird der Arzt oder die Ärztin sehen, ob eine andere Grunderkrankung behandelt werden muss. Das sind erste Schritte vor einer medikamentösen Dauertherapie.
Welche Medikamente kommen zum Einsatz?
Früher häufig L-Dopa als Einstiegsmedikation, also Dopamin. Inzwischen verabreicht man eher Dopamin-Antagonisten. Aber beides gilt es in niedriger Dosis zu verschreiben. Das ist die entscheidende Botschaft. Denn es kann zu einer Augmentation kommen, einer Verschlechterung des Schweregrads der Symptome des RLS unter einer medikamentösen Behandlung. Das Problem: Viele Patienten erleben, dass die Medikamente nicht mehr richtig wirken und erhöhen dann selbst die Dosis. Das führt zu einer Art Teufelskreis. Die Therapie schlägt nicht richtig an, man nimmt mehr, und es reicht wieder nicht. Im Zuge dessen kommt es letztlich zu einer Überstimulation mit Dopaminergika, die zu dem Gegenteil führt, von dem, was man erreichen möchte. Statt besser, werden die Beschwerden immer schlechter. Das ist eine absolut ernst zu nehmende Nebenwirkung, und zur Zeit in Deutschland die Hauptproblematik in der Behandlung der RLS. Es wird zu wenig drauf geachtet, dass eine Augmentation unter dopaminhaltigen Medikamenten auftreten kann.
Würden Sie sagen: Je später man mit einer medikamentösen Therapie beginnt, desto besser?
Das ist nicht immer eindeutig zu beantworten: Einerseits würde ich sagen: Wenn der Schlaf deutlich gestört ist oder man abends nicht ruhig sitzen kann, nicht ins Kino oder mit Freunden ins Restaurant gehen kann, dann sollte man natürlich was einnehmen. Es lohnt nicht, immer alles auszusitzen. Andererseits sollte man eben darauf achten, eine Augmentation zu vermeiden. Manchmal hilft auch eine intermittierende Therapie, das heißt, nur dann etwas einzunehmen, wenn man einen starken Bewegungsdrang verspürt, zum Beispiel auf Autofahrten. Viele Betroffene, die aber täglich unter Schlafstörungen leiden, benötigen jedoch eine kontinuierliche Therapie. Häufig werden die Beschwerden im Alter außerdem ausgeprägter.
Welche nicht-medikamentösen Möglichkeiten gibt es?
Milde Bewegungen der Beine am Nachmittag und Abend für eine gute Durchblutung. Es hilft außerdem das Vermeiden von Kaffee und Koffein, weil das seinerseits Schlafstörungen begünstigt. Manchmal verschaffen Wechselduschen oder Massagen eine Erleichterung. Wenn aber ein ein ausgeprägter Bewegungsdrang vorliegt, wird das vermutlich nicht ausreichen.
Welche Tipps haben Sie noch für Betroffene?
Letztlich ist es eine Erkrankung, die variabel ist: Es gibt Zeiten, in denen es besser ist und Zeiten, in denen es schlechter läuft. Das hängt auch mit Umweltfaktoren wie Stress zusammen. Aber der Patient oder die Patientin sollte wissen, dass man von ärztlicher Seite einen Teil dazu beitragen kann, dass die Beschwerden gelindert werden. Es ist leider nicht wie bei einem Antibiotikum, das man verabreicht, und die Infektion ist weg. Man kann das Restless Legs Syndrom derzeit nicht heilen. Die Betroffenen müssen versuchen, die Erkrankung ins Leben zu integrieren – mit moderater Bewegung und Sport. Das ist mir wichtig, weil immer wieder Patient:innen zu uns in die Klinik kommen und sagen: „Ich hab RLS, bitte tun Sie was, das muss verschwinden!“ Im Augenblick gibt es leider keine Möglichkeit, diese doch sehr komplexe Bewegungsstörung, die in viele Bereiche des Lebens hineinwirkt, völlig zum Stoppen zu bringen. Wir können nur Empfehlungen geben, wie man damit im Alltag umgehen kann. Weiterhin sollte man auf eine gesunde Ernährung und seinen Eisenstoffwechsel achten.
Claudia Trenkwalder
Claudia Trenkwalder ist Neurologin und Chefärztin der Parcelsus-Elena-Klinik in Kassel, außerdem Professorin für Bewegungsstörungen an der Klinik für Neurochirurgie der Universitätsmedizin Göttingen. Sie war Oberärztin für Neurologie am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München und habilitierte nach einem Forschungsaufenthalt in den USA über das Restless Legs Syndrom. Vor diesem Hintergrund ist sie Gründungsmitglied der European RLS Study Group und hat die Deutsche Restless Legs Vereinigung ins Leben gerufen, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den rund 100 000 Menschen zu helfen, die am Restless Legs Syndrom leiden. Sie ist derzeit Präsidentin der International Parkinson and Movement Disorder Society (MDS).
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