Frauke, Du tourst gerade mit Deinem Camper und Deiner Hündin durch Deutschland und erfüllst Dir den Traum von einer beruflichen Auszeit. Inwiefern begleitet Dich die Depression?
Bei mir wurde vor sieben Jahren eine mittelschwere bis schwere Depression diagnostiziert, und im Laufe der Zeit folgten zwei weitere Tiefs. Aktuell geht es mir gut. Trotzdem merke ich immer wieder, dass die Depression zu meinem Alltag dazu gehört: Als diese Reise Corona-bedingt ins Wasser zu fallen drohte, ging es mir mehrere Tage unverhältnismäßig schlecht. Ich muss also immer achtsam sein, nicht depressiv zu werden. Subjektiv empfinde ich meine Krankheit als chronisch.
Aber Angst zu verreisen hast Du nicht? Deine erste Depression 2013 tauchte ja im Urlaub auf.
Das stimmt. Es ging mir damals aber bereits eine ganze Weile vor dem Urlaub schlecht. Ich dachte, das ändert sich, wenn ich mich richtig erhole. So war es aber nicht. Und ich wusste: Wenn selbst die Ferien nicht mehr helfen, dann läuft irgendetwas grundsätzlich richtig schief. Außerdem haben sich im Urlaub erstmals Suizidgedanken bei mir eingestellt. Ich hatte Angst, mir etwas anzutun.
Als Du nach Hause gekommen bist, bist Du direkt zum Hausarzt gegangen.
Genau. Zu der Vertretung meines Hausarztes vielmehr. Er hat mir einige Fragen und anschließend die Diagnose gestellt. Außerdem gab er mir eine Krankschreibung mit und ein Rezept für ein Antidepressivum. Allerdings, und das hat mich doch gestört, ohne mich über mögliche Nebenwirkungen aufzuklären oder mir weitere Therapiemöglichkeiten an die Hand zu geben. Im Beipackzettel der Antidepressiva habe ich dann gelesen, dass sich die Suizidgedanken zunächst verstärken können. Was natürlich nicht sehr beruhigend ist.
Du hast das Medikament trotzdem genommen?
Ja, aber ich habe die Freundin aus dem Urlaub gebeten, ein Auge auf mich zu haben. Wenn ich mich nicht mehr gemeldet hätte, wäre sie alarmiert gewesen. Ich wollte ja nicht sterben. Ich wollte nur, dass sich etwas ändert. Tatsächlich ging es mir nach ungefähr zwei Wochen besser. Vorher hatte ich immer das Gefühl, ich falle in ein tiefes Loch, und alles wird schlimmer. Nach den Medikamenten war ich zwar immer noch tief unten mit Gedankenrasen und eingefrorenen Gefühlen. Aber ich hab gleichzeitig wieder ein bisschen Boden unter den Füßen gespürt.
Was war für Dich das Schlimmste an der Depression?
Die Emotionslosigkeit und der soziale Rückzug sind schlimm. Ich konnte auch bestimmte Gerüche nicht mehr richtig wahrnehmen oder Farben erkennen. Trotzdem war die Hoffnungslosigkeit für mich das Schlimmste. Sie macht einen absolut hilflos.
Du hast Dir dann auf eigene Faust einen Psychotherapeuten gesucht. Wie schwer war das?
Es ist ja immer schwer, einen Therapeuten zu finden, der einem zeitnah einen Platz anbieten kann. Dafür musste ich ziemlich viel recherchieren und herumtelefonieren. Anfangs bin ich auf Anrufbeantwortern gelandet, auf denen es hieß, dass entweder keine Plätze verfügbar sind, oder dass ich zu einer bestimmten Uhrzeit nochmal anrufen soll. Das war ein enormer Kraftaufwand zu einer Zeit, in der ich kaum Kraft hatte. Aber es war ein Überlebensinstinkt. Glücklicherweise habe ich irgendwann einen Mann gefunden, bei dem ich zwei Jahre lang eine tiefenpsychologisch fundierte Therapie machen konnte. Weil zwischen uns die Chemie aber nicht so stimmte, hat er mir schließlich geholfen, eine zweite Therapeutin zu finden – und bei ihr habe ich mich dann sehr wohl gefühlt. Die Antidepressiva habe ich nach ungefähr drei Jahren ausgeschlichen.
Was hast Du von der Therapie mit in den Alltag genommen?
Die Therapeutin und ich sind belastende Situationen Schritt für Schritt durchgegangen und haben analysiert, was daran schwierig für mich war und wie ich mich bei einer Wiederholung verhalten könnte. Daraus habe ich Handlungsanweisungen abgeleitet, auf Notizzettel geschrieben und sie ins Portemonnaie gesteckt. Bei Bedarf konnte ich sie herausholen und mir die Sätze in Erinnerung rufen. Darauf standen Dinge wie: „Kurz innehalten“. „Tief durchatmen“. „Dem anderen Bescheid sagen, dass ich mich zurückziehe.“ „Die Situation verlassen“. Wir haben diese neuen Handlungen trainiert, und das hilft. Inzwischen mache ich zwar keine Therapie mehr, aber wenn ich das Gefühl habe, ich steuere auf eine depressive Episode zu, kann ich einen Notfalltermin vereinbaren. Diese Möglichkeit gibt mir großen Rückhalt. Ich bin bis jetzt ungefähr drei oder vier Mal darauf zurückgekommen, und danach ging es mir jeweils besser.
Woran erkennst Du Warnsignale einer Depression?
Bei Albträumen frage ich mich, was in meinem Alltag schief läuft. Und wenn mein Herz zu rasen beginnt, versuche ich herauszufinden, welcher Stress genau dahinter steckt und was ich an ihm verändern kann. Zum Beispiel, indem ich Verabredungen nach der Arbeit absage, damit ich die Möglichkeit habe, wieder zur zur Ruhe zu kommen.
Du brauchst viele Ruhepausen, um stabil zu bleiben?
Ja. Pausen in einer möglichst reizarmen Umgebung, in der es keine Menschen gibt, die gefühlt etwas von mir wollen. Grundsätzlich freue ich mich natürlich, wenn ich zu einer Geburtstagsfeier eingeladen bin oder Karten für ein Konzert habe. Aber die ganzen Menschen, Eindrücke oder Reize stressen mich auch latent. Ich muss danach eine Regenerationszeit einplanen und mir am nächsten Tag wirklich die Zeit nehmen, das Erlebte zu verarbeiten.
War das schon immer so bei Dir?
Ja. Ich habe es nur nicht so ernst genommen. Ich denke, ich habe einfach nicht gut gelernt, zu wissen, wo meine Grenzen liegen. Kommen mehrere Dinge zusammen, und schaffe ich es nicht, mir Raum zu geben, dann kann es passieren, dass ich in eine Depression rutsche.
Du bist mit einer Zwillingsschwester aufgewachsen, die seit ihrer Geburt körperlich schwer behindert ist. Du hattest also immer jemanden an Deiner Seite, der bedürftiger ist als Du. Denkst Du, dass es Dir auch deshalb schwer fällt, Deine Grenzen zu erkennen?
Ich war früh in die Pflege und Fürsorge für meine Schwester eingebunden, und die Konstellation hat mich geprägt. Ich glaube aber, dass an der Entstehung meiner Depression mehrere Faktoren beteiligt sind, dass es also nicht den einen Auslöser gibt. Der Prozess der Auseinandersetzung geht außerdem immer weiter. Auf dieser Reise fällt mir zum Beispiel auf, dass ich schnell das Gefühl habe, zu stören. Ich sitze auf dem Camping-Platz oder raste irgendwo und fürchte, ich bin jemandem im Weg. Obwohl niemand da ist, auf den das zutreffen könnte. Das war mir vor meiner Abreise gar nicht so klar.
Du bloggst seit 2013 auf „Fräuleins wunderbare Welt“ über Deine Depressionen. Wie schwer ist es Dir gefallen, mit Deiner Erkrankung an die Öffentlichkeit zu gehen?
Es war zunächst gar nicht so geplant. Als ich anfing, meine Texte und Fotos im Internet zu veröffentlichen, war meine Welt Grau in Grau. Ich habe dem etwas entgegengesetzt, indem ich meine schönen Erlebnisse aufgeschrieben habe. Meine Depression sind erst einige Monate später Thema geworden. Und zwar, weil ich mich mit einer Freundin schriftlich darüber ausgetauscht und festgestellt habe, dass es sehr angenehm und befreiend ist, alles ganz in Ruhe schriftlich zu reflektieren. Aus dem Briefwechsel sind dann Beiträge für den Blog geworden. Daraufhin bekam ich viele positive Rückmeldungen und hatte den Mut, weiterzumachen.
Dein Blog ist mehrfach preisgekrönt, und mit ihm hilfst Du vielen Menschen in vergleichbaren Situationen. Was rätst Du jemanden, der sich depressiv fühlt?
Ich rate immer dazu, sich Hilfe zu suchen. Sei es, dass man zum Hausarzt geht, oder dass man anonym bei der Telefonseelsorge anruft. Sehr wichtig finde ich auch Selbstmitgefühl. Also die Einsicht, an einer Krankheit zu leiden. Es kostet so viel Kraft, die Depression wegzuschieben und sich zum Weitermachen und Durchhalten zu motivieren. Spart man diese Energie ein und steckt sie stattdessen in die Heilung, ist das schon einmal ein guter Anfang. Außerdem versuche ich immer wieder bewusst, nett mit mir selbst umzugehen.
Hat die Depression auch Gutes bei Dir bewirkt?
Absolut. Ich habe den Blog ins Leben gerufen und über ihn viele neue Menschen kennengelernt. Ich habe eine Ausbildung zur Resilienztrainerin gemacht und bin jetzt auf einer Reise, die ich mir immer gewünscht habe. Das ist eine Bereicherung, und ich bin der Depression ein Stück weit dafür dankbar. Trotzdem würde ich niemals sagen: „Hab’ doch mal eine Depression, dann wird alles irgendwann alles toll im Leben.“ Dafür ist die Krankheit zu krass. Aber ich habe es geschafft, das Beste daraus zu machen.
Danke für das Gespräch.
Frauke Gonsior
ist Bloggerin und lebt seit Jahren mit Depressionen. Auf ihrem preisgekrönten Blog „Fräuleins wunderbare Welt“ erzählt sie von ihrem Alltag und dem, was ihr hilft und Spaß macht: Waldspaziergänge mit ihrer Hündin Mina, Reisen oder gutes Essen. 2019 hat sie außerdem ihre Ausbildung zur Resilientrainerin RASMUS (=Resilienz durch Achtsamkeit, Selbst-Mitgefühl und Selbstfürsorge) abgeschlossen und bietet Vorträge und Trainings an
Weiterführende Links:
Wo finde ich psychologische Hilfe?
Hier gibt es Hilfe bei Depressionen
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